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Der moderne Nationalismus als eine politische Religion - Über die Konstruktion der Nation im Zeitalter des modernen Nationalismus

Der moderne Nationalismus als eine politische Religion

Über die Konstruktion der Nation im Zeitalter des modernen Nationalismus

von Manfred Suchan

 

„Nur wenn man die Geschichte kennt, weiß man, was unsere Gegenwart von aller bisherigen Geschichte unterscheidet.“ (1)

Golo Mann (1909-1994)

 

1. Einleitung

Die Idee der Nation (2), des Nationalismus und des Nationalstaats (3) ist die wirkmächtigste Idee, die jemals von Europa ausgegangen ist, und sie ist ein Produkt des Zeitalters der Moderne. Der Sozialwissenschaftler Martin Albrow stellt in seinem Buch: “Abschied vom Nationalstaat. Staat und Gesellschaft im Globalen Zeitalter“ fest: „Wenn man (…) einem Faktor der Moderne eine Vorrangstellung beimessen will, dann ist es der Nationalstaat“ (4). In seinem Buch: „Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen“ definiert der Historiker Hans-Ulrich Wehler „Nationalismus“: „Nationalismus soll heißen: das Ideensystem, die Doktrin, das Weltbild, das der Schaffung, Mobilisierung und Integration eines größeren Sozialverbandes (Nation genannt), vor allem aber der Legitimation neuzeitlicher politischer Herrschaft dient. Daher wird der Nationalstaat mit einer möglichst homogenen Nation zum Kardinalproblem des Nationalismus“ (5). Als quasi-natürliche Vergesellschaftungsform des Menschen ist die Idee der Nation, des Nationalismus und des Nationalstaats heute auf der gesamten Welt alternativlos, und überall werden die Menschen genötigt, sich gemäß der Idee der Nation und des Nationalstaates zu organisieren.

Das extreme 20. Jahrhundert hat jedoch aufgezeigt, daß die Idee der Nation, des Nationalismus und des Nationalstaats die mit Abstand bedeutendste Quelle von Gewalt und Verbrechen im Zeitalter der Moderne ist. Dieser Umstand macht eine umfassende Analyse zwingend und unausweichlich erforderlich. In seinem Text: „Die Geschichtswissenschaft am Ende des 20. Jahrhunderts“ stellt der Historiker Wolfgang J. Mommsen „machtpolitische Prozesse und gewaltsame Formen der Interaktion zwischen politischen Einheiten“ als Gegenstandsbereich geschichtswissenschaftlicher Forschung vor, und dabei seien die Historiker gefordert, die Handlungsmuster von gesellschaftlichen Großgruppen zu untersuchen im Zusammenhang mit Phänomenen von Gewalt und Terror, „die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in unterschiedlichen Formen und in höchst verschiedenen politischen Systemen, aber mit grundsätzlich vergleichbaren Zielsetzungen aufgetreten sind“, und dabei gehe es „um die Erforschung der geistigen Horizonte und mentalen Prädispositionen, die das politische Verhalten nicht allein der politischen und gesellschaftlichen Eliten, sondern der breiten Schichten der jeweils beteiligten oder betroffenen Bevölkerungsgruppen bestimmen, weit über den Bereich der politischen Ideologien im engeren Sinne hinaus“ (6).

Um die historische Wirklichkeit des extremen 20. Jahrhunderts präziser erfassen und analysieren zu können, ist es zum einen sinnvoll, charakteristische und prägende Elemente, die das 20. Jahrhundert in seiner gesamten historischen Tiefe und seiner gesamten geografischen Breite als ein extremes Jahrhundert mit Alleinstellungsmerkmal charakterisieren und prägen, ins Zentrum einer jeden Analyse zum extremen 20. Jahrhundert zu stellen, wie die Ethnische Säuberung (7), die Totale Institution (8) des Lagers (9) in ihren verschiedenen Erscheinungsformen, der Ausnahmezustand (10), der Doppelstaat (11), der totale industrielle Krieg (12), und weitere, denn diese haben als charakteristische und prägende Elemente des extremen 20. Jahrhunderts den Gehalt von analytischen Kategorien, und zum anderen ist es sinnvoll, nicht nur die klassischen Begriffe und Theorien des „Totalitarismus“ (13), des „Faschismus“ (14), des „Nationalsozialismus“ (15) und der „Ideologie“ (16) für die historische Analyse und Forschung zu verwenden, sondern zusätzlich den Begriff der „Politischen Religion“ (17). Für die Analyse politischer Ideen im Zeitalter der Moderne ist der Begriff der „Politischen Religion“ eingeführt worden, und er findet bei der Analyse von Ideologien des extremen 20. Jahrhunderts, hier insbesondere der nationalsozialistischen Ideologie Verwendung.

Im Folgenden wird die These vertreten, daß nicht nur die radikalisierten Ideologien des extremen 20. Jahrhunderts den Charakter einer Politischen Religion haben, sondern daß darüber hinaus die Idee der Nation, des Nationalismus und des Nationalstaats den Charakter einer Politischen Religion hat, deren Radikalisierung eine wesentliche Grundlage sowohl der totalitären Ideologien, als auch der Verbrechen des extremen 20. Jahrhunderts bildet. Das Aufkommen der Politischen Religion des Nationalismus und deren erlangter kulturellen Hegemonie (18) bedeuten das Ende des Zeitalters der Aufklärung (19). Das dem vorliegenden Text zugrundeliegende Erkenntnisinteresse ist es, zu einer Überprüfung und Revision von politischen Ideen anzuregen, die sich im historischen Prozeß als problematisch erwiesen haben, und um den Möglichkeitsraum für die Entwicklung von Alternativen für eine zukünftige friedliche Weltgesellschaft jenseits der Idee der Nation und des Nationalstaates zu eröffnen. Nach der Unterbrechung durch das extreme 20. Jahrhundert ist eine Wiederaufnahme und Neubegründung des Projekts der Aufklärung angesagt, und auf einem neuen und erweiterten Wissens- und Erkenntnisfundament kann ein neues, zweites und nun globales Zeitalter der Aufklärung begründet werden (20). Ebenso wie im Zeitalter der Aufklärung stellt sich auch heute die Frage: „Wie klärt man Menschen so auf, dass sie aufgeklärt sein wollen?“ (21)

2. Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung 

  2. Inhaltsverzeichnis 

  3. Das Sprachvermögen als die bedeutendste Fähigkeit des Menschen 

  4. Die Konstruktion der Nation über Sprache im Zeitalter des modernen Nationalismus 

  5. Nationalismus und Geschichtspolitik 

  6. Sprachpolitik zwischen Diskriminierung, Assimilierung und Gleichberechtigung 

  7. Der Nationalstaat als Synthese des Herrschaftsmodells des Staates mit der Idee der Nation 

  8. Nationalstaatliche Machtbehauptung und nationale Gewaltkultur 

  9. Das Ideal der Apatheia als gemeinsamer Bestandteil der Weltkultur 

10. Der moderne Nationalismus als politische Religion des Zeitalters der Moderne 

11. Der antagonistische Gegensatz von Nationalismus und Menschenrechten 

12. Nationalismus und Gewalt im Zeitalter der Moderne: Ethnische Säuberungen 

13. Nationalismus und Gewalt in Europa am Beispiel Österreich-Ungarn 

14. Nationalismus und Gewalt in Europa am Beispiel Südost-Europa 

15. Nationalismus und Gewalt außerhalb Europas am Beispiel Südamerika und Südasien 

16. Alternativlose Affirmation des Bestehenden durch Geschichtspolitik 

17. Wie weiter nach dem extremen 20. Jahrhundert ? 

18. Anmerkungen 

3. Das Sprachvermögen als die bedeutendste Fähigkeit des Menschen

Die bedeutendste kommunikative, kulturelle und soziale Fähigkeit des Menschen ist sein Sprachvermögen (22). Dieses menschliche Sprachvermögen ist nicht nur ein Produkt der kulturellen Entwicklung des Menschen im historischen Prozeß, sondern es ist zugleich ein Resultat der Entwicklung des Menschen als Naturwesen und als Lebensform im evolutions-ökologischen Prozeß im Rahmen des modernen geodynamischen Weltbildes (23). In dieser Menschheitsentwicklung hat sich eine Vielzahl unterschiedlicher Sprachen herausgebildet, und diese Vielfalt der Sprachen ist Bestandteil der kulturellen Vielfalt (24) der Menschheit. Heute können wir davon ausgehen, daß die kulturelle Vielfalt und die Vielfalt der Sprachen früher über den längsten Teil der Menschheitsentwicklung hin erheblich größer gewesen ist, doch durch Uniformierungs- und Vereinheitlichungsprozesse insbesondere infolge der Neolithischen Revolution und dem darauf folgenden Entstehen staatlich organisierter, hierarchischer und territorialer Gesellschaften, die dazu übergingen, kriegerisch zu expandieren und Imperien zu bilden, ist die kulturelle Vielfalt und die Vielfalt der Sprachen permanent zurückgegangen.

Innerhalb der Menschheitsgeschichte (25) ist die Neolithische Revolution (26) eine der bedeutendsten und folgenreichsten Entwicklungen. Die Neolithische Revolution erfolgte im Zuge der Einführung des Ackerbaus und der Sesshaftigkeit, und sie begann vor ca. 11.000 Jahren. Die Neolithische Revolution führte zur Entstehung von despotischer Herrschaft und zur Entwicklung cephaler, hierarchischer, arbeitsteiliger, bürokratischer, zentralverwalteter, staatlich organisierter Gesellschaften nach den Modell der „hydraulischen Gesellschaft“ (27), ein historischer Prozeß, der ausgelöst durch postglazialen Klimawandel insbesondere in großen Flußlandschaften, wie z.B. des Nil, Euphrat und Tigris, Indus, Ganges, Mekong und Huang He in mehreren Regionen der Welt stattfand. In seinem Werk: „Die Orientalische Despotie. Eine vergleichende Untersuchung totaler Macht“ (28) entwickelt der Soziologe Karl August Wittfogel mit dem Begriff der „Hydraulischen Gesellschaft“ ein Modell der Entstehung von Herrschaft und cephaler, hierarchischer, arbeitsteiliger, bürokratischer, zentralverwalteter, staatlich organisierter Gesellschaften als eine Folge postglazialen Klimawandels. Diese ersten Zivilisationen der frühen Hochkulturen (29) entwickelten ein auf Ritual, Kosmologie und Religion sowie auf Zwang, Furcht und Strafe begründetes Herrschaftsmodell, das die Gesellschaft zum Zweck zentral organisierter Arbeitsleistung gleichschaltete und das mit Kriegen nach außen expandierte.

Gegenwärtig werden auf der Welt noch etwa 6.500 Sprachen gesprochenen, doch ihre Zahl nimmt weiterhin ständig ab, sodaß im Verlaufe des 21. Jahrhunderts zwischen 50 und 90 Prozent der Sprachen aussterben werden (30). Dieser Verlust an kultureller Vielfalt findet in dem Verlust an biologischer Vielfalt, an Biodiversität seine Entsprechung: In der Industriegesellschaft werden sowohl die Natur, als auch die Gesellschaft gemäß „instrumenteller Vernunft“ (31) (Max Horkheimer) zweckrational zugerichtet und in sterile, gleichförmige Monokulturen umgewandelt, und jegliche Vielfalt geht dabei verloren. Die fortgeschrittene Industriegesellschaft hat das Ziel, permanentes Wirtschaftswachstum zu erzwingen, wofür sämtliche Bereiche der Gesellschaft zugerichtet und gleichgeschaltet werden. Mit der permanenten Ausweitung des Konsums verbunden ist ein permanent wachsender Verbrauch von Rohstoffen und eine permanent wachsende Verschwendung von Energieressourcen mit der Folge sich ausweitender Naturzerstörungen. Ebenso wird im auf Hochtouren laufenden industriellen Produktionsprozeß die menschliche Arbeits- und Lebenszeit verschwendet. Immer weitere gesellschaftliche Bereiche werden ökonomischem Kalkül unterworfen, zweckrational zugerichtet und gemäß instrumenteller Vernunft gleichgeschaltet und industrialisiert.

Auch heute noch ist die überwiegende Mehrzahl der Menschen zweisprachig (32) oder mehrsprachig (33). Auch aufgrund dieser ursprünglichen Mehrsprachigkeit der meisten Menschen existierten früher keine exakt bestimmbaren Sprachgrenzen (34). Vielmehr gab es ursprünglich fließende Übergänge zwischen verschiedenen Sprachen in Form von Dialektkontinua (35). Dies änderte sich insbesondere im Zeitalter des modernen Nationalismus, was im Folgenden näher dargestellt werden soll. Heute wird oft die noch bestehende Vielfalt der Sprachen als eine Einschränkung der universellen Kommunikation der Menschheit innerhalb einer Weltgesellschaft empfunden.

4. Die Konstruktion der Nation über Sprache im Zeitalter des modernen Nationalismus

Völker (36) oder Nationen sind keine biologisch determinierten Gemeinschaften, sondern das Ergebnis historischer und sozialer Entwicklungsprozesse, die als „Ethnogenese“ (37) bezeichnet werden. In Europa verdichtet sich der Prozeß der Ethnogenese insbesondere im Zeitraum des Übergangs von der Spätantike zum Frühmittelalter, in der Zeit der sogenannten „Völkerwanderung“ (38). Im Zeitalter des modernen Nationalismus wird eine „Nation“ mangels anderer Kriterien insbesondere über die Sprache bestimmt, denn Nationalisten gehen davon aus, daß Völker klar voneinander abgegrenzte, stabile und objektiv identifizierbare soziale und kulturelle Einheiten seien, die sich durch eindeutige und unveränderliche Merkmale wie Sprache, Tradition, Religion, Sitten, Brauchtum, Abstammung und Nationalcharakter voneinander unterscheiden. Nationalisten behaupten, jeder Mensch habe quasi naturwüchsig eine „Muttersprache“, über die er einer „Nation“ zugeordnet werden kann. Die Nation gilt als eine quasi-natürliche transhistorische Einheit, und die quasi-natürliche Vergesellschaftungsform der Nation ist der Nationalstaat. Der Nationalstaat begründet sich auf dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ (39). Jede Nation besitze das Recht auf einen eigenen Staat. Nationale Bewegungen betonten die Besonderheiten ihrer jeweiligen Sprachen und Kulturen und sie forderten das Recht jedes Volkes auf Selbstbestimmung einschließlich einer eigenen staatlichen Organisation und einem eigenen Territorium, sowie das „Recht auf Entwicklung einer nationalen Identität“ (40). Jede Nation besitze eigene Ideen- und Wertsysteme, die die Existenz der Nation rechtfertigen, die ihre Vergangenheit deuten und ihre Zukunft entwerfen. Hierbei zielen ethnonationalistische Ideologien auf die politische Autonomie für alle Personen, die einer bestimmten ethnischen Gruppe angehören, und sie bestehen auf dem Recht dieses Volkes, sein historisches Territorium zu beherrschen, das dieses schon „immer“ und seit „Urzeiten“ bewohnt habe. Mythen (41) in Form von Gründungsmythen, Geschichtsmythen und politischen Mythen (42) konstituieren die Nation und den Nationalstaat, und sie sollen den Anspruch auf ein bestimmtes Territorium legitimieren.

Zeitgleich mit dem modernen Nationalismus entstand die neue Wissenschaft der indoeuropäischen Philologie (43). Diese versucht, die Entwicklung der indogermanischen Sprachen (44) aus einer gemeinsamen indogermanischen Ursprache (45) zu erforschen. Diese indoeuropäischen Philologie wurde ein Instrument zur Legitimation des Nationalismus, denn sie stellte wissenschaftlich objektive Kriterien für die Volkszugehörigkeit zur Verfügung. Nun ließen sich Völker durch Sprache identifizieren. Folge war, daß die großen europäischen Sprachgruppen mit ihren unendlich vielfältigen Übergängen durch wissenschaftliche Regeln radikal in unterschiedliche Sprachen zerlegt wurden. Diese offizielle Sprachregelung wurde durch staatliche Erziehungsanstalten und die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht allgemein durchgesetzt. Die Sprachgrenzen verloren an Flexibilität und Sprachtraditionen gingen unter. Von Intellektuelle und Gelehrten wurde ein nationales Bewußtsein gefordert und propagiert auf Grundlage der Fiktion einer gemeinsame Abstammung, der Konstruktion einer gemeinsamen Geschichte und einer grammatisch vereinheitlichten Schriftsprache. Insbesondere durch Spracherziehung in den staatlichen Erziehungseinrichtungen sollte der Nationalstaat aufgebaut werden, denn die homogene Bevölkerung des Nationalstaates sollte sich in einer einheitlichen Nationalsprache als Grundlage einer einheitlichen und identitätsstiftenden Nationalkultur verständigen können.

Da es jedoch nirgendwo klar erkennbare Sprachgrenzen und abgrenzbare Kulturräume gibt, sondern hingegen überall auf der Welt Gemengelagen die Normalität darstellen, ist der Versuch einer Schaffung von möglichst homogenen Nationalstaaten von vornherein ein äußerst schwieriges und extrem konfliktträchtiges Vorhaben. Aufgrund ursprünglich bestehender Gemengelagen und fehlender nationaler Identitäten lassen sich auch bei intensiver Suche weder Sprachgrenzen, noch ethnische Grenzen als natürliche Entitäten in der Landschaft finden, und diese müssen erst konstruiert und als Faktizität durchgesetzt werden. Doch dies ist bis heute eine Quelle endloser Gewalt und Verbrechen. So verweist die Soziologin Ingrid Oswald in Ihrem Buch: „Nationalitätenkonflikte im östlichen Teil Europas“ darauf, daß die „ethnische Verschachtelung die Bildung von Nationalstaaten von vornherein zu einem äußerst schwierigen, extrem konfliktträchtigen Unterfangen“ (46) macht. In seinem Buch: „Friedensprojekt Europa“, in dem er die Entwicklungen in Europa nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Blockkonfrontation untersucht, stellt der Sozialwissenschaftler und Friedensforscher Dieter Senghaas fest: „Dieser ‚Ethnonationalismus‘ ist erneut zu einem Kernproblem regionaler, nationaler und internationaler Politik geworden“ (47).

5. Nationalismus und Geschichtspolitik

Mithilfe der Philologie ließ sich zudem eine wissenschaftlich fundierte nationale Geschichte schaffen, die sowohl die Nationalsprache als auch die Nationalideologie in eine ferne Vergangenheit projizierte, worauf der Historiker Patrick J. Geary in seinem Buch: “Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen“ hinweist: „Die Geburt der Völker wurde in die Zeit datiert, in der sich diese unterschiedlichen, identifizierbaren Sprachen von ihrer gemeinsamen germanischen, slawischen, romanischen oder hellenischen Herkunft emanzipierten, um je eigene sprachliche und kulturelle Einheiten zu begründen“ (48). Die Konstituierung der Nation als imaginierter Gemeinschaft durch die Konstruktion einer Nationalgeschichte diente der Nationenbildung, was die Historikerin Julia Angster in ihrem Text: „Nationalgeschichte und Globalgeschichte. Wege zu einer ‚Denationalisierung‘ des historischen Blicks“ hervorhebt: „Aufgabe der Geschichtswissenschaft war es, diese nationale Geschichte zu schreiben und damit gesellschaftlichen und staatlichen Zusammenhalt zu stiften“ (49). Hierbei konstruiert der Nationalismus eine legitime Ordnung der Nation zum Zweck der Legitimierung seiner nationalen Ordnung. Die Nation wird zum Legitimationsspender unter Berufung auf historische Traditionen, und sie wird zur Vorsehung eines göttlichen Weltplans überhöht, sodaß sie zum obersten Legitimationsprinzip wird. Diese „Verzahnung von Geschichte und Nationalismus, in der Historiker es als ihre wichtigste Aufgabe angesehen hatten, durch ihre wissenschaftlichen Forschungen zur Nationenbildung beizutragen“ (50), bestätigt die Historikerin Margit Pernau in ihrem Buch: „Transnationale Geschichte“, und sie erklärt: „Die Vorstellung der Nation war um so wirkmächtiger, je mehr es gelang, ihren Charakter als Vorstellung vergessen zu machen und sie als naturgegeben erscheinen zu lassen. Dabei kam der Geschichtsschreibung von Anfang an eine zentrale Rolle zu, denn sie war das Medium, durch das die Existenz der Nation in die Vergangenheit, ins ‚Immer-Schon-Dagewesene‘, verlängert werden konnte. Das Interesse der Historiker richtete sich damit gerade nicht auf den Wandel, sondern im Gegenteil auf das, was inmitten aller historischen Veränderung ewig und dem menschlichen Zugriff entzogen schien. (…) Zugleich war die Historiografie der Ort, an dem verhandelt wurde, welche Eigenschaften die Angehörigen einer Nation vor allen andern auszeichneten. Wie die Nation selbst, so wurde auch ihr Charakter in seinem Kern als historisch unwandelbar angesehen“ (51). Aufgrund dieser erfolgten Instrumentalisierung der Geschichtswissenschaften zum Zweck der Konstruktion von Nationalgeschichten imaginierter Nationen im Zuge von Nationenbildung und der Legitimierung homogener Nationalstaaten hebt der Historiker Christoph Cornelißen in seinem Buch: „Geschichtswissenschaften. Eine Einführung“ die heute erforderliche „Notwendigkeit der Entmythologisierung vieler anscheinend gefestigter ‚Wissensbestände‘, die vielfach überhaupt erst von den Vertretern älterer Historikergenerationen ‚erfunden‘ worden sind“ hervor (52).

Im Zeitalter der Aufklärung hatte es hingegen noch eine Tradition der Welt- und Universalgeschichte (53) gegeben, die dann jedoch von der Nationalgeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert verdrängt wurde. Die Historikerin Margit Pernau hebt in ihrem Buch: „Transnationale Geschichte“ hervor, daß „die Nationalisierung der Geschichtswissenschaft (…) anfänglich gegen den Widerstand einer Tradition der Universalgeschichtsschreibung, die sich aus dem Gedankengut der Aufklärung speiste“ erfolgte (54). Auch die Historikerin Andrea Komlosly stellt in ihrem Buch: „Globalgeschichte. Methoden und Theorien“ fest: „Als um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Nationalgeschichte in der Geschichtswissenschaft den Ton anzugeben begann, wurde Welt- und Universalgeschichte an den Rand gedrängt“ (55). In seinem Text: „Geschichte als Aufklärung?“ wirft der Historiker Jürgen Kocka der Frage auf, „warum diese ursprüngliche Allianz zwischen Aufklärung und Geschichte in den letzten 200 Jahren nicht tragfähiger und haltbarer war. Letztlich lag das an den selben Hindernissen, die der Realisierung der aufklärerischen Ideen überhaupt im Wege standen, so daß diese bis heute noch nicht vollendet ist“ (56).

Die Konstruktion einer Nationalgeschichte dient zudem der Legitimierung des alleinigen Anspruchs der Nation auf ein bestimmtes Territorium, was der Historiker Holm Sundhausen in seinem Text: Staatsbildung und ethnisch-nationale Gegensätze in Südosteuropa“ aufzeigt: „Bei der Bestimmung und ‚Legitimierung‘ territorialer Ansprüche (…) gingen ‚historische Rechte‘ (die Berufung auf einen früheren Staat oder eine legendäre Erstansiedlung in grauer Vorzeit) und das moderne Selbstbestimmungsrecht eine unheilige und widersprüchliche Allianz ein“ (57). Die Nationalgeschichte verbindet die Nation mit dem Nationalstaat, in dem sich diese staatlich organisiert. „Die Form nationaler Identität macht es nötig, daß sich jede Nation in einem Staat organisiert, um unabhängig zu sein“, wie der Philosoph Jürgen Habermas in seinem Text: „Geschichtsbewußtsein und posttraditionale Identität. Die Westorientierung der Bundesrepublik“ darstellt, und er ergänzt: „In der historischen Wirklichkeit ist jedoch der Staat mit national homogener Bevölkerung immer Fiktion geblieben. Der Nationalstaat selber erzeugt erst jene autonomistischen Bewegungen, in denen unterdrückte nationale Minderheiten um ihre Rechte kämpfen. Und indem der Nationalstaat Minderheiten seiner zentralen Verwaltung unterwirft, setzt er sich dem Widerspruch zu Prämissen der Selbstbestimmung, auf die er sich selbst beruft. Ein ähnlicher Widerspruch durchzieht das historische Bewußtsein, in dessen Medium sich das Selbstbewußtsein einer Nation bildet. Um eine kollektive Identität formen und tragen zu können, muß der sprachlich-kulturelle Lebenszusammenhang auf eine sinnstiftende Weise vergegenwärtigt werden. Nur die narrative Konstruktion eines auf das eigene Kollektiv zugeschnittenen sinnhaften Geschehens bietet handlungsorientierende Zukunftsperspektiven und deckt den Bedarf an Affirmation und Selbstbestätigung. Dem widerstreitet aber das geisteswissenschaftliche Medium der Vergegenwärtigung affirmativer Vergangenheiten. Der Wahrheitsbezug verpflichtet die Geisteswissenschaften auf Kritik; er steht im Gegensatz zur sozialintegrativen Funktion, für die der Nationalstaat die historischen Wissenschaften öffentlich in Gebrauch nahm“ (58). Es stellt sich somit die Frage nach dem Erkenntnisinteresse historischer Forschung und dem Wissenschaftsverständnis der Geschichtswissenschaften, was in Kapitel 16 dieses Textes erörtert wird.

Das völkische Nationalbewußtsein verdichtet sich zu den in den Nationalgeschichten aufbereiteten „imaginären Gemeinschaften“, die zu Kristallisationskernen einer neuen kollektiven Selbstidentifikation wurden, worauf der Philosoph Jürgen Habermas in seinem Text: „Der europäische Nationalstaat. Zu Vergangenheit und Zukunft von Souveränität und Staatsbürgerschaft“ hinweist: „Die positive Selbststilisierung der eigenen Nation wurde jetzt zum gut funktionierenden Mechanismus der Abwehr alles Fremden, der Abwertung anderer Nationen und der Ausgrenzung nationaler, ethnischer, religiöser Minderheiten“ (59). Ergebnis war ein Begriff von ‚Nation‘ als einer durch gemeinsame Sprache, Kultur und Geschichte geprägten politischen Gemeinschaft. Die Künstlichkeit der nationalen Mythen macht den Nationalismus anfällig für den Mißbrauch durch politische Eliten. So ist es, wie Habermas hervorhebt, eine „Tatsache, daß die Idee der Nation weniger dazu gedient hat, die Bevölkerungen in ihrer Loyalität zum Verfassungsstaat zu bestärken, als vielmehr dazu, die Massen für Ziele zu mobilisieren, die kaum mit republikanischen Grundsätzen in Einklang zu bringen sind“ (60). Idealtypisch werden zwei Konzepte von Nation unterschieden: Die Staatsbürgernation und die Nation als Abstammungsgemeinschaft, doch realtypisch existieren sie nie in Reinform, sondern treten stets in unterschiedlicher Weise in einer Verbindung miteinander auf, wodurch sich die antagonistische Doppelgestalt des Begriffs der Nation begründet.

6. Sprachpolitik zwischen Diskriminierung, Assimilierung und Gleichberechtigung

Trotz eines extremen 20. Jahrhunderts Ethnischer Säuberungen zum Zweck der Schaffung sprachlich und ethnisch homogener Nationalstaaten ist heute noch ein Teil der ursprünglichen sprachlichen und kulturellen Vielfalt in Europa in Form von Regional- und Minderheitensprachen (61) erhalten, doch durch fortgesetzte Sprachpolitik (62), weiteres „Nation-Building“, ein erneutes Erstarken des Nationalismus, sowie durch ein Fortschreiten der vereinheitlichenden und nivellierenden Konsumkultur (63) geht diese Vielfalt auch heute weiterhin zurück.

Beachtenswert ist die Sprachsituation in Belgien, in der Bretagne und in Finnland, deren Unterschiede sich im Vergleich erschließen und die im Folgenden erörtert werden. In Belgien gibt es zwei annähernd gleich große Sprachgruppen, und mich interessiert das Verhältnis dieser beiden Sprachgruppen zueinander, auch um dieses mit der Situation anderer Länder, in denen es ebenfalls mehrere Sprachgruppen gibt, vergleichen zu können. Beeindruckt hat mich die Situation in Finnland, wo es eine Asymmetrie zwischen den ca. 90 % finnischsprachigen Einwohnern und den ca. 10 % schwedischsprachigen Einwohnern Finnlands gibt (64). Beide Sprachgruppen sind vollkommen gleichberechtigt, und an den Schulen lernen alle finnischsprachigen Schüler Schwedisch und alle schwedischsprachigen Schüler Finnisch. Erst danach werden an den Schulen „echte“ Fremdsprachen unterrichtet. Dieses finnische Modell erscheint mir als ein Modell, von dem Europa lernen kann. In Belgien hingegen scheint es zwei Parallelgesellschaften zu geben, die der Flamen und die der Wallonen, die nebeneinander existieren. Offiziell gibt es in Belgien drei Sprachgebiete mit territorialer Einsprachigkeit (Flämisch bzw. Niederländisch, Französisch, Deutsch) (65). Anders als beim finnischen Beispiel ist in Belgien offensichtlich allgemeine Mehrsprachigkeit nicht angestrebt, und die beiden großen Sprachgruppen grenzen sich zueinander ab.

Eine skurrile und eigenartige Besonderheit ist die Sprachsituation in Luxemburg, denn, wie man auf Wikipedia lesen kann, geben in Luxemburg 73 % der Bevölkerung „Luxemburgisch“ als Muttersprache an (66). Straßennamenschilder in Luxemburg-Stadt sind zweisprachig mit Französisch und „Luxemburgisch“. Dennoch kann man sich in Luxemburg problemlos mit den meisten Leuten in deutscher Sprache verständigen, wie ich feststellen konnte. Im Jahre 1839 war Luxemburg im Zuge einer dritten Teilung entlang der Sprachgrenze zwischen Französisch und Deutsch geteilt worden.

In der Bretagne haben wir es im Fall der bretonischen Sprache mit einer kleinen Minderheitensprache zu tun, die immer weiter ausstirbt. Mit dem Bretonischen stirbt nicht nur eine Sprache aus, sondern es droht das Aussterben einer ganzen Sprachgruppe, d.h. des letzten verbliebenen Rests der Gruppe der keltischen Sprachen (67), die in der Antike in Europa eine weite Verbreitung gehabt hatten. Auf den Britischen Inseln sterben die Reste der keltischen Sprachgruppe ebenfalls wie in der Bretagne immer weiter aus. Neben dem Bretonischen gibt es in Europa mehrere weitere Fälle von kleinen Minderheitensprachen, die aussterben würden, wenn sie nicht gezielt gefördert werden. Hat, wie im Falle des Bretonischen, der Prozeß des Aussterbens und Verschwindens schon eingesetzt, reicht es nicht aus, früher übliche Diskriminierungen von Minderheitensprachen nun wegzulassen. Eine aktive Förderung dieser bedrohten Minderheitensprachen ist vielmehr erforderlich, um ihren dauerhaften Erhalt zu gewährleisten. Mein Eindruck ist, daß dies in der Bretagne nicht erfolgt. Bis auf vereinzelte zweisprachige Ortseingangsschilder ist in der Bretagne die bretonische Sprache im öffentlichen Raum faktisch nicht präsent. Es ist abzusehen, daß die bretonische Sprache in wenigen Jahrzehnten aussterben und verschwinden wird. Es ist somit erforderlich, sich mit der Sprachpolitik Frankreichs (68) zu befassen, die einige Besonderheiten aufweist, aufgrund derer sie m. E. als Modell für Europa untauglich ist, denn die Sprachpolitik Frankreichs ist ein Beispiel für Sprach- und Kulturimperialismus (69).

Die Vielfalt der gesprochenen Sprachen in Europa ist ein wesentlicher Bestandteil der kulturellen Vielfalt. Allerdings sind die Nationalstaaten im Zeitalter des modernen Nationalismus bestrebt, eine einheitliche Nationalsprache und Nationalkultur zu schaffen und durchzusetzen, was zur Folge hat, daß Minderheiten unterdrückt und diskriminiert werden. Im Zeitalter des modernen Nationalismus erfolgt die Konstruktion der Nation insbesondere über Sprache, und in Frankreich entstand dafür das Model und der Prototyp: In Frankreich haben zur Zeit vor der Französischen Revolution nur 13 % der Einwohner Französisch gesprochen, worauf der Historiker Hans-Ulrich Wehler in seinem Buch: „Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen“ hinweist: „In Frankreich z.B. sprachen nur dreizehn Prozent aller Staatsuntertanen, vor allem im Kerngebiet um die Île de France, zur Zeit der Großen Revolution das moderne Französisch“ (70). Doch dann wurde die französische Sprache zur einzigen Staatssprache erklärt. Der Kommunikationswissenschaftler und ehemalige Berliner Wissenschaftssenator Peter Glotz (1939-2005) nennt in seinem Buch: „Die Vertreibung. Böhmen als Lehrstück“ die historischen Umstände: „Am Ende des 18. Jahrhunderts wurde in vielen Teilen Frankreichs Baskisch, Spanisch, Italienisch, Flämisch, Bretonisch, Okzitan gesprochen. Nur in fünfzehn Departements im Inneren des Landes wurde ausschließlich die französische Sprache benutzt. Es gab dreißig ‚Patois‘, also Mundarten, die dem Französisch Sprechenden so fremd blieben wie das Platt dem Hochdeutsch Sprechenden. Der Machtwille der Pariser Zentralisten hat in Frankreich dafür gesorgt, dass heute fast alle Franzosen Französisch sprechen“ (71).

Die Dominanz der französischen Sprache ist sogar Bestandteil der Verfassung Frankreichs, wo in Artikel 2 verordnet wird: „La langue de la République est le français“. Zweifellos widerspricht dies dem Diskriminierungsverbot (72), das ebenso wie Grund- und Menschenrechte Bestandteil einer jeden Verfassung sein muß, die Legitimität und Geltung beanspruchen will. Der Inhalt einer Verfassung (73) kann nicht beliebig sein, denn eine jede Verfassung muß Standards erfüllen, und dazu gehört ein Verfassungskern mit unaufhebbaren Grundrechten (74) und Menschenrechten (75), deren Bestandteil das Diskriminierungsverbot ist. Dieser Verfassungskern mit unaufhebbaren Grund- und Menschenrechten steht in der Normenhierarchie (76) an oberster Stelle, und er hat Ewigkeitsgarantie (77). Dies sollte eine zentrale Lehre aus dem extremen 20. Jahrhundert sein, doch tatsächlich sieht oft auch heute noch in vielen Ländern die real-existierende Verfassungswirklichkeit anders aus. Tatsächlich überwiegt weltweit ein Verfassungstypus mit eingeschränktem Verfassungskern. Eigentlich müßte die Normenkontrolle (78) durch die Verfassungsgerichtsbarkeit (79) gewährleisten, daß der Verfassungskern mit unaufhebbaren Grund- und Menschenrechten in der Normenhierarchie an oberster Stelle steht, Ewigkeitsgarantie hat, und daß dieser Verfassungskern uneingeschränkt zur Geltung gelangt, um die Verfassungswirklichkeit zu prägen und zu gestalten. Doch in der real-existierenden Verfassungswirklichkeit ist die Verfassungsgerichtsbarkeit oft Spielball der Politik und von Lobbyinteressen. Dennoch muß alles, was dem Verfassungskern widerspricht, als verfassungsinkonform und als verfassungsfeindlich gelten, und somit auch Artikel 2 der Verfassung Frankreichs. Offensichtlich hat in Frankreich die Sprachpolitik einen höheren Stellenwert in der Normenhierarchie als der Verfassungskern mit unaufhebbaren Grund- und Menschenrechten, deren Bestandteil das Diskriminierungsverbot ist.

Ebenso wie die Sprachpolitik Frankreichs ist daher auch die Verfassung Frankreichs als Modell für Europa untauglich. Dieser Aspekt ist umso relevanter, da sich Frankreich im Zeitalter der Moderne und insbesondere seit dem Zeitalter des Absolutismus als selbstverständliches Modell nicht nur für das gesamte Europa, sondern die gesamte Welt ansieht, und dieser Modellanspruch wird auch weitgehend akzeptiert, ohne jedoch im Einzelfall die Übertragbarkeit des zentralistischen französischen Modells auf die jeweiligen Gesellschaften und ihre spezifischen gesellschaftlichen Realitäten detailliert zu überprüfen. Wie die historischen Entwicklungen zeigen, waren die Folgen oftmals katastrophal: Insbesondere die Entwicklungen in den nach dem Ersten Weltkrieg in der östlichen Hälfte Europas neu entstandenen Staaten zeigen die Untauglichkeit des französischen Modells auf, wobei diese neuentstandenen Staaten, wie z.B. die Tschechoslowakei, das zentralistische französische Verfassungsmodell übernommen hatten. In der Folge spitzten sich die Nationalitätenkonflikte derart zu, daß ein neuer großer Krieg entstehen konnte. Hätte man sich hingegen am Modell der Schweiz und deren Konzept einer Willensnation orientiert, wäre dies höchstwahrscheinlich nicht passiert. Am Beispiel der Tschechoslowakei werden die katastrophalen Folgen einer Übertragung des französischen Modells in Kapitel 13 dieses Textes ausführlicher dargestellt.

Bei meiner Süd-Asien Reise 2019/2020 hatte mich insbesondere die dort bestehende große kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckt. Eine vergleichbar große kulturelle und sprachliche Vielfalt muß es auch in Europa in der Antike gegeben haben. In Europa hingegen geht die kulturelle und sprachliche Vielfalt weiter zurück, es wird weiterhin Sprachpolitik betrieben, es erfolgt weiterhin „Nation Building“, und der Nationalstaat ist weiterhin Maßstab der Politik. Zudem breitet sich in Europa eine einheitliche und nivellierende Konsumkultur bis in die entlegensten Periferien aus. So ist es kein Zufall, daß der Nationalismus überall in Europa und insbesondere in dessen östlicher Hälfte wieder zunimmt.

In der östlichen Hälfte Europas sind seit 1989/90 Nationalismus, Sprachpolitik und Diskriminierungen von Minderheiten eine wesentliche Ursache und Grundlage der aktuellen Krisen und Konflikte. So gibt es z.B. in Lettland eine russischsprachige Minderheit, die 37 % der Bevölkerung ausmacht, sowie in Estland eine russischsprachige Minderheit von 25 %. Nach der Unabhängigkeit Lettlands in Jahre 1991 wurde Lettisch zur alleinigen Staatssprache erhoben, und die lettische Regierung duldet seither keine Zweisprachigkeit. In ihrem Buch: „Das Ende des Imperiums. Was aus den Staaten der Sowjetunion wurde“ stellen der Historiker Thomas Kunze und der Journalist Thomas Vogel die Situation der russischsprachigen Minderheit dar: „Nur, wenn die Vorfahren bereits vor 1940 in Lettland gewohnt hatten oder die Nicht-Letten nachweisen, dass sie die lettische Sprache beherrschten, bekamen sie einen lettischen Pass. Ansonsten blieben sie staatenlos. (…) 2012 gab es ein Volksbegehren, um Russisch als zweite Amtssprache einzuführen. Es war von Beginn an zum Scheitern verurteilt, die betroffenen staatenlosen Russen, Ukrainer oder Weißrussen waren zur Abstimmung nicht zugelassen. Sie dürfen sich auch um keine öffentlichen Ämter bewerben“ (80). Ebenso wie in Lettland verfügt auch in Estland die russischsprachige Minderheit nur über einen sogenannten Fremdenpaß und sie hat kein Wahlrecht. Diese staatliche Diskriminierung von Minderheiten besteht in Lettland und Estland, obwohl beide Länder seit 2004 Mitglieder der Europäischen Union sind. Somit stellt sich die Frage, welchen Stellenwert und welche Geltung Minderheitenrechte in der Europäischen Union haben und wie die tatsächliche Verfassungswirklichkeit der EU beschaffen ist. Die Autoren Kunze und Vogel heben hervor: „Die Diskriminierung der russischen Minderheit reicht bis ins Privatleben hinein. Russen müssen ihren Namen der Staatssprache anpassen. Das Bildungssystem benachteiligt sie, sie verfügen weder über das Wahlrecht, noch können sie Beamte werden“ (81). Bis heute haben weder Lettland, noch Estland die Europäische Charta für Regional- und Minderheitensprachen (82) unterzeichnet.

Vergleichbar ist die Situation in der Ukraine, wo Diskriminierungen der russischsprachigen Minderheit  zu separatistischen Bestrebungen führten. In der Ukraine setzte mit der Unabhängigkeit 1991 ein Prozeß der „Ukrainisierung“ (83) ein. Die Die Autoren Kunze und Vogel stellen fest: „Seit 1991 ist Ukrainisch, entgegen der sprachlichen Realität, offiziell die einzige Amtssprache des Landes. Russisch wurde 2012 in der Ost- und Südukraine zumindest als regionale Amtssprache wieder zugelassen. 2014 unternahm die durch die Euro-Maidan-Bewegung an die Macht gekommene neue ukrainische Regierung einen Vorstoß, selbst dieses Gesetz wieder abzuschaffen und damit die Förderung aller Minderheitensprachen in der Ukraine (neben Russisch u.a. auch Polnisch und Rumänisch) einzustellen. Ein entsprechender Antrag wurde im Parlament mit einer knappen Mehrheit angenommen. Nach Kritik aus Russland, Polen, Rumänien, der EU und von der OSZE musste er durch ein präsidiales Veto wieder zurückgenommen werden. Der Schaden war da aber schon beträchtlich: Die ostukrainischen, mehrheitlich russischsprachigen Gebiete standen längst nicht mehr unter der Kontrolle der Zentralregierung“ (84). Der in der Ukraine entstandene ethnonationalistische Konflikt, der mit einer konsequenten Beachtung von Minderheitenrechten und konsequenter Gleichberechtigung vermeidbar gewesen wäre, wird heute zum Schaden der Bevölkerung der Ukraine von Welt- und Supermächten im Zuge der seit 1989/90 stattfindenden Neuaufteilung globaler Interessen- und Einflußzonen geopolitisch instrumentalisiert.

Die Lage der russischsprachigen Minderheiten in der östlichen Hälfte Europas nach der Auflösung der Sowjetunion ähnelt der Lage der deutschsprachigen Minderheiten in der östlichen Hälfte Europas nach dem Ersten Weltkrieg; auch diesen deutschsprachigen Minderheiten wurden in den nach dem Ersten Weltkrieg neu entstandenen Nationalstaaten in der östlichen Hälfte Europas Minderheitenrechte und eine konsequente Gleichberechtigung verweigert, sodaß sich die Nationalitätenkonflikte zu einem Krieg zuspitzen konnten. Der Nationalismus in der östlichen Hälfte Europas ist heute nicht weniger gefährlich als zwischen den beiden Weltkriegen, wie die aktuellen Entwicklungen zeigen. Die Entwicklungen im ehemaligen Jugoslawien sind ein mögliches Szenario für die gesamte östliche Hälfte Europas, wenn sich dort ethnonationalistische Konflikte weiter zuspitzen.

7. Der Nationalstaat als Synthese des Herrschaftsmodells des Staates mit der Idee der Nation

Innerhalb der Menschheitsgeschichte ist die Entstehung staatlich organisierter Gesellschaften und des Staates (85) als Form gesellschaftlicher Organisation eine sehr junge Erscheinung und sie war eine Folge der Neolithischen Revolution. Die Neolithische Revolution erfolgte im Zuge der Einführung des Ackerbaus und der Sesshaftigkeit, und sie begann vor ca. 11.000 Jahren. Die Neolithische Revolution führte, wie eingangs dargestellt, zur Entstehung von despotischer Herrschaft und der Entwicklung cephaler, hierarchischer, arbeitsteiliger, bürokratischer, zentralverwalteter, staatlich organisierter Gesellschaften nach den Modell der „hydraulischen Gesellschaft“, ein historischer Prozeß, der ausgelöst durch postglazialen Klimawandel insbesondere in großen Flußlandschaften, wie z.B. des Nil, Euphrat und Tigris, Indus, Ganges, Mekong und Huang He in mehreren Regionen der Welt stattfand. Während bislang die Menschheit seit Urzeiten in kleinen, übersichtlichen Gemeinschaften gelebt hatte, entstehen mit staatlich organisierten Gesellschaften anonyme Massengesellschaften, in denen das Denken der Menschen zum Zweck der Herrschaftsausübung gleichgeschaltet wurde. Diese ersten Zivilisationen der frühen Hochkulturen entwickelten ein auf Ritual, Kosmologie und Religion sowie auf Zwang, Furcht und Strafe begründetes Herrschaftsmodell, das die Gesellschaft zum Zweck zentral organisierter Arbeitsleistung gleichschaltete und das mit Kriegen nach außen expandierte.

Im Begriff des Nationalstaates wird die Idee der Nation mit dem Herrschaftsmodell des Staates verbunden. Zum Verständnis der Dynamik des Verhältnisses von Staat und Nation ist eine historische Analyse erforderlich. In einer historischen Perspektive zeigt sich, daß sowohl die Staaten der frühen Hochkulturen, als auch die antiken griechischen und römischen, sowie die mittelalterlichen und nicht-westlich geprägten Staatsformen gar keine „Nation“ erforderten, gänzlich ohne Nationalismus auskamen und dennoch funktionierten. In Europa änderte sich das Herrschaftsmodell des Staates am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit jedoch grundlegend während des Zeitalters des Absolutismus (86). Das Herrschaftsmodell des Staates expandierte in der frühen Neuzeit insbesondere durch die Mobilmachung im Konfliktfall und erlangte zunehmend die Vorherrschaft über andere Gesellschaftsordnungen wie die feudalen Stände, die Städte, den Handel, die Kirchen und die Intellektuellen. Im Zuge der Säkularisation geriet der moderne Staat durch den Wegfall der Legitimation über Religion und das „Gottesgnadentum“ (87) in eine Legitimationskrise und mußte sich fortan aus anderen Quellen legitimieren. Diese Legitimation leistet nun die Idee der Nation sowie die Ideologie des Nationalismus, die den Charakter und die Funktion einer politischen Religion erlangte.

Der Sozialwissenschaftler Martin Albrow stellt bezüglich dieser Änderungen der außerpolitischen metaphysischen Legitimationsquellen des Staates in der Neuzeit in seinem Buch: „Abschied vom Nationalstaat. Staat und Gesellschaft im Globalen Zeitalter“ fest: „Die Idee der Nation stellte einen Zusammenhang her zwischen dem Staat und dem Volk, das er regierte, und diente zur Rechtfertigung einer oftmals willkürlichen Rechtsprechung und Grenzziehung“ (88). Der Philosoph Jürgen Habermas hebt in seinem Text: „Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie“ hervor: „Im Europa des 19. Jahrhunderts stiftet die Nation einen neuen solidarischen Zusammenhang zwischen Personen, die bis dahin Fremde füreinander gewesen waren. Diese universalistische Umformung der angestammten Loyalitäten gegenüber Dorf und Familie, Landschaft und Dynastie ist ein schwieriger, jedenfalls langfristiger Prozeß, der selbst in den klassischen Staatsnationen des Westens nicht vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts die ganze Bevölkerung erfaßt und durchdrungen haben dürfte. Andererseits äußert sich diese abstrakte Form der Integration nicht zufällig in der Kampfbereitschaft und dem Opfermut von Wehrpflichtigen, die gegen die ‚Feinde‘ des Vaterlandes‘ mobilisiert wurden. Im Erstfall sollte sich die Solidarität der Staatsbürger als die Solidarität derer bewähren, die für Volk und Vaterland ihr Leben riskieren. Im romantisch inspirierten Begriff des Volkes, das seine Existenz und Eigenart im Kampf gegen andere Nationen behauptet, verschmilzt das Naturwüchsige der imaginierten Sprach- und Abstammungsgemeinschaft mit dem Ereignishaften der narrativ konstruierten Schicksalsgemeinschaft.“ Dies bedeutet, „daß der Nationalstaat auf das Problem der Desintegration einer Bevölkerung reagiert hat, die aus den ständischen Sozialverbänden der früh-neuzeitlichen Gesellschaft herausgerissen worden war.“ (89)

Der Begriff der Nation verknüpft also im Zeitalter der Moderne auf Grundlage einer neuen metaphysischen Legitimationsquelle des Staates Staat und Gesellschaft miteinander zum Nationalstaat. Fortan wurde der Nationalstaat zu einem Projekt der Umgestaltung der Gesellschaft nach seinen Vorstellungen, d.h. zur Nation, was durch „Nation Building“ (90) erfolgt. Bestandteil des „Nation Buildings“ ist der Irredentismus (91), der alle Vertreter einer bestimmten Ethnie in einem Staat mit festen Territorialgrenzen zusammenfassen will. Der Irredentismus ist Bestandteil vieler Panbewegungen (92).

Die im Zuge der industriellen Revolution (93) aufkommende soziale Frage erforderte neue Formen der Integration des neu entstandenen Proletariats in den Nationalstaat. Diese soziale Frage „kreiste im wesentlichen darum, wie der Staat die gesellschaftlichen Kräfte zähmen könne, die die Industrialisierung freigesetzt hatte, im besonderen das entstehende Massenproletariat, das die etablierten Obrigkeiten bedrohte“ (94), was der Sozialwissenschaftler Martin Albrow in seinem Buch: „Abschied vom Nationalstaat. Staat und Gesellschaft im Globalen Zeitalter“ hervorhebt. Der Nationalstaat bewältigte diese innenpolitische Herausforderung hauptsächlich auf dem Wege militärischer Mobilmachung, um die innenpolitischen Probleme über imperiale Expansion nach außen abzuleiten, wie es die Sozialimperialismustheorie (95) erklärt, sodaß im Zeitalter des Imperialismus (96) die Konflikte zwischen den Nationalstaaten in den beiden Weltkriegen kulminierten. Die Sozialimperialismustheorie versteht imperialistische Bestrebungen als ein außenpolitisches Konzept, mit dem von innenpolitischen Problemen eines Staates abgelenkt werden soll, die durch die Herrschaft einer privilegierten Minderheit über eine benachteiligte Mehrheit verursacht werden. Das heißt, daß die innenpolitischen Mißstände kanalisiert und exportiert werden. Nach Auffassung von Cecil J. Rhodes (97) (1853-1902) läßt sich der Bürgerkrieg nur vermeiden, wenn man Imperialist würde. Im zweiten Teil mit dem Titel „Imperialismus“ ihres Buches: „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ weist die Historikerin Hannah Arendt (1906-1975) darauf hin, daß der Imperialismus „ein gemeinsames, nationales Gesamtinteresse“ zu bieten schien, „und dies ist der Grund, warum der europäische Nationalismus sich so außerordentlich leicht imperialistisch infizieren ließ, trotz der entscheidenden Gegensätzlichkeit der ihm einwohnenden Prinzipien. Je weniger der Nationalstaat sich für die Eingliederung fremder Völker eignete, desto größer war die Versuchung, sie einfach zu unterdrücken. Nationalismus und Imperialismus sind theoretisch durch einen Abgrund geschieden; in der Praxis ist dieser Abgrund immer wieder durch rassisch oder völkisch orientierte Nationalismen überbrückt worden. Die Imperialisten rühmten sich von Anfang an, daß sie ‚über‘ und ‚jenseits aller Parteien‘ ständen, daß sie die einzigen seien, die die Nation als Ganzes verträten“ (98).

8. Nationalstaatliche Machtbehauptung und nationale Gewaltkultur

Geht man davon aus, daß eine Sprachgemeinschaft eine „Nation“ bildet, und jede Nation das Recht auf nationale Selbstbestimmung und einen eigenen Staat hat, dann müßte es gemäß der Gesamtzahl von etwa 6.500 der auf der Welt gesprochenen Sprachen folglich etwa 6.500 Nationalstaaten geben. Tatsächlich existieren heute jedoch nur 193 völkerrechtlich anerkannte Nationalstaaten. Es ist somit ein Ergebnis von Beliebigkeit und letztlich eine Machtfrage, wer sich auf das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ berufen darf, wie der Philosoph Jürgen Habermas in seinem Text: „Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie“ feststellt: „In der Welt, wie wir sie kennen, bleibt es dem historischen Zufall, normalerweise den naturwüchsigen Ausgang von gewaltsamen Konflikten, Kriegen und Bürgerkriegen überlassen, wer jeweils die Macht gewinnt, um die kontroversen Grenzen eines Staates zu bestimmen“ (99). Das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ ist folglich eine realitätsfremde Fiktion, denn tatsächlich muß sich ein Staat, um existieren zu können, im „Kampf ums Dasein“ quasi als „Raumorganismus“ sowohl im inneren gegen konkurrierende Gewalten durchsetzen und zugleich international als gleichberechtigter Konkurrent behaupten können. Das Modell des Staates als „Raumorganismus“ wurde von den Geografen Friedrich Ratzel (1844-1904), Karl E. Haushofer (1869-1946) und Otto Maull (1887-1957) entwickelt, und es ist ein Produkt des sozialdarwinistischen (100) Mainstreams, der das Denken im Zeitalter des Imperialismus in den unterschiedlichsten Bereichen prägte. Im Zeitalter des modernen Nationalismus führte die Entstehung des Nationalitätsprinzips in der völkerrechtlichen Anerkennungspraxis von Saaten zur Durchsetzung des Effektivitätsprinzips, worauf Jürgen Habermas verweist: „In der völkerrechtlichen Anerkennungspraxis entsprach dem Aufkommen des Nationalitätsprinzips die Wende zum Effektivitätsprinzip, wonach jede neue Regierung – ohne Ansehung ihrer Legitimität – auf Anerkennung rechnen darf, sofern sie nur ihre Souveränität nach außen und innen hinreichend stabilisiert“ (101). In seinem Buch: „Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen“ stellt der Historiker Hans-Ulrich Wehler fest: „Das fundamentale Defizit des Nationalismus und seines Nationalstaats ist ihre Unfähigkeit, Probleme des innergesellschaftlichen und außenpolitischen Friedens befriedigend lösen zu können (…). Im Gegenteil: Bei inneren Integrationsanstrengungen und der Interessenverfechtung nach außen lösen beide extrem zugespitzte Konflikte aus“ (102).

Zum Zweck dieser Machtbehauptung führte der Nationalstaat die Totale Institution der Allgemeinen Wehrpflicht ein, die den Krieg zum Volkskrieg der mobilisierten Nation radikalisierte und die die totale und totalitäre Verfügung des Staates über die Bürger zur Folge hat (103). Während Europa soeben die „Erfindung“ der Idee der Menschenrechte gefeiert hat, wird nahezu gleichzeitig mit der Ausweitung der allgemeinen Wehrpflicht ein Modell eines besonderen Gewaltverhältnisses vollständiger Entrechtung und zweckrationaler Zurichtung und Abrichtung des Menschen geschaffen, das die Grundlage für die Verbrechen des 20. Jahrhunderts legte. Die Bürger werden zu Maschinen erniedrigt und zugerichtet, die sich auf dem Schlachtfeld zum Zweck der Machtbehauptung der Nation gegenseitig abschlachten. Die zum Zweck der Machtbehauptung nach außen entfesselte und kollektiv erfahrene Gewalt durchdringt fortan die gesamte Gesellschaft und prägt sowohl das Bewußtsein der Individuen als auch den Kulturbereich und wirkt auf die Politik und ihr Erscheinungsbild zurück (104). Die Gewalterfahrung und die Menschenopfer im Krieg werden zum prägenden kollektiven Identifikationsmythos der Nation, der die Nation zur Machtbehauptung gegen den äußeren Feind zusammenschweißt. Kriegerdenkmäler und Totenkult bilden das Identifikationszentrum der Nationalkultur, deren primäre Aufgabe es ist, die Bereitschaft der Bürger zum zukünftigen Opfertod zur Machtbehauptung der Nation zu fördern. Dieses Erscheinungsbild der öffentlichen Gedenk- und Erinnerungskultur und ihrer Ikonografie ist eine spezifische europäische Besonderheit auf Grundlage der kulturellen Hegemonie der Idee des Nationalismus in Europa als einem Produkt des Zeitalters der Moderne. Stilprägend für die nationalistische europäischen Gedenk- und Erinnerungskultur ist das Genre des „säbelschwingenden Reiterstandbildes“, das die europäischen Erinnerungslandschaften prägt und das sich insbesondere in den europäischen Hauptstädten konzentriert. Zentrum und Periferie der europäischen Erinnerungslandschaften unterscheiden sich diametral: Während in den Hauptstädten mit opulenten Denkmälern heroische Siege gefeiert werden und zur nächsten Schlacht mobilisiert wird, um Ruhm, Ehre und Größe der Nation zu vermehren, werden im ländlichen Raum in nahezu allen Dörfern mit Mahnmalen die Kriegstoten betrauert. Der Weg zu einer zivilen und kultivierten Weltgesellschaft in einer Welt ohne Krieg beginnt mit der weltweiten Abschaffung der Wehrpflicht.

9. Das Ideal der Apatheia als gemeinsamer Bestandteil der Weltkultur

Das Erscheinungsbild der Ikonografie der traditionellen öffentlichen Kultur ist hingegen in großen Teilen der Welt seit der „Achsenzeit“ (105) vom Ideal der Apatheia (106) geprägt. Kultur (107) wird in der Brockhaus Enzyklopädie in einem engeren Sinne definiert als „die Handlungsbereiche, in denen der Mensch auf Dauer angelegte und den kollektiven Sinnzusammenhang gestaltende Produkte, Produktionsformen, Lebensstile, Verhaltensweisen und Leitvorstellungen hervorzubringen vermag (Traditionen, Brauchtum), weswegen dieser Kulturbegriff nicht nur das jeweils Gemachte, Hergestellte und Künstliche betont, sondern auch das jeweils moralisch Gute der Kultur anspricht“ (108). Der Begriff der „Achsenzeit“ wurde insbesondere durch den Philosophen Karl Jaspers (1883-1969) bekannt. In seinem Werk „Vom Ursprung und Ziel der Geschichte“ (109) bezeichnet der Philosoph Karl Jaspers den Zeitraum von ca. 800 bis 200 vor Chr. als „Achsenzeit“, in der in Gesellschaften verschiedener Kulturräume gleichzeitig bedeutende philosophische Entwicklungen erfolgt sind, die das gleichgerichtete Denken in den frühen Hochkulturen überwanden und die die Menschheitsgeschichte bis heute prägen. Der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann analysiert in seinem Buch „Achsenzeit. Eine Archäologie der Moderne“ den zeitgeschichtlichen Kontext des Themas „Achsenzeit“: „Der kulturtranszendente, potentiell globale Durchbruch der Achsenzeit um 500 v. Chr. ist in Jaspers‘ Sinne eine regulative Idee, ein Appell zu ‚grenzenloser Kommunikation‘, für einen neuen Humanismus, der nicht auf der klassischen Antike, sondern einer umfassenden Gemeinsamkeit aller Kulturen und Religionen beruht, die vielleicht nicht als Ursprung, aber jedenfalls als Ziel der Geschichte in den Blick kommt. Dieser intellektuelle Kosmopolitismus ist mehr denn je das Gebot der Stunde in einer Zeit, in der nationale, religiöse und ideologische Partikularismen wieder an Macht und Einfluß gewinnen“ (110).

Erst mit der „Achsenzeit“ entsteht geistige Freiheit, die das Gehäuse der Herrschaft der frühen Hochkulturen mittels Ritual, Zwang, Furcht und Strafe durchbricht, und dies erfolgt insbesondere mit dem Entstehen der Philosophie (111), aber diese Freiheit ist bis heute gefährdet. Im Zeitalter der Moderne beschleunigt sich die Vermehrung und Intensivierung von Herrschaft mit dem weiteren Voranschreiten des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, sodaß die Möglichkeiten der Überwachung, Kontrolle, Manipulation, Zurichtung und Beherrschung der Menschen weiter zunehmen, und insbesondere die neuen digitalen Technologien eröffnen hierfür nahezu unbegrenzte Möglichkeiten.

In der griechischen Philosophie bezeichnet Apatheia einen eingeübten, stabil gleichförmigen und friedlichen Gemütszustand der Leidenschaftslosigkeit. Nach Darstellung des Philosophen Immanuel Kant (112) (1724-1804) in seinem Werk. „Kritik der Urteilskraft“ (1790) ist diese Apatheia als „Affektlosigkeit“ ein vorzüglicher und edler Gemütszustand, der auf das Gute gerichtet ist und der „das Wohlgefallen der reinen Vernunft auf ihrer Seite hat. Eine dergleichen Gemütsart heißt allein edel“ (113). Insbesondere fand das Ideal der Apatheia weite Verbreitung über den Hellenismus (114) und über diesen Eingang sowohl in den Buddhismus (115) als auch in die christliche Religion, die beide als Synkretismus und als Produkt des Kulturaustausches mit dem Hellenismus entstanden sind. Die Ikonografie insbesondere des Buddhismus, aber auch des Christentums ist durchgehend vom Ideal der Apatheia und dessen Propagierung geprägt. Als herausragendes Beispiel können Buddha-Statuen aufgeführt werden, die allesamt dem Ideal der Apatheia Ausdruck verschaffen. Ein größerer Gegensatz zu dem stilbildenden Genre der gewaltverherrlichenden „säbelschwingenden Reiterstandbilder“, das die öffentlich zur Schau gestellte Gedenk- und Erinnerungskultur der Nationalkulturen der Nationalstaaten Europas prägt, ist kaum vorstellbar.

Nach dem Modell der „Achsenzeit“ sind sowohl die Anfänge der antiken Philosophie, als auch die Anfänge der Weltreligionen gleichursprünglich. Der Begriff „Religion“ (116) ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Weltanschauungen, die menschliches Verhalten, Denken und Fühlen prägen, die Wertvorstellungen normativ beeinflussen, und deren Grundlage der jeweilige Glaube an bestimmte transzendente Kräfte und damit verbundene heilige Objekte ist (117). Die Komplexität und die Unterschiedlichkeit der Religionen läßt kaum eine einheitliche Definition zu (118). Philosophie und Religion stehen in einem wechselseitigen Spannungsverhältnis zueinander, weswegen Religionskritik (119) die Religionen durch ihre gesamte Geschichte begleitet. Im Zeitalter der Aufklärung wird die Religion in die Schranken der Vernunft verwiesen und der Philosoph Immanuel Kant fordert in seiner Schrift: „ Die Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft“ (120) eine Vernunftreligion, deren Grundsätze alleine auf Vernunft, und nicht auf in Dogmen begründetem Glauben beruhen. Die einzige Funktion einer Religion sah Kant in der Gewährleistung eines durch Vernunft geprüften moralischen Lebenswandels. In seiner Schrift: „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ (121) stellt der Dichter Gottfried Ephraim Lessing (1729-1781) die Religionen als eine Zwischenstufe in der Entwicklung der Vernunft und der Moral der Menschheit dar.

Auf diese Gleichursprünglichkeit von Philosophie und Religion im Rahmen des Modells der „Achsenzeit“ weist der Philosoph Jürgen Habermas in seinem Text: „Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den ‚öffentlichen Vernunftgebrauch‘ religiöser und säkularer Bürger“ hin: „Ein Weg zur kritischen Aufklärung der multidimensionalen, nicht nur auf den Bezug zur objektiven Welt fixierten Vernunft über ihre Grenzen ist die gewissermaßen sich selbst einholende, Fixierungen auflösende Rekonstruktion der eigenen Entstehungsgeschichte. Dabei beschränkt sich das postmetaphysische Denken nicht auf das Erbe der abendländischen Metaphysik. Es vergewissert sich ebenso seiner internen Beziehungen zu jenen Weltreligionen, deren Ursprünge – wie die Anfänge der antiken Philosophie – auf die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends zurückgehen, also auf die von Jaspers ausgezeichnete ‚Achsenzeit‘. Die in jener Periode wurzelnden Religionen haben nämlich den kognitiven Schub (…) in ganz ähnlicher Weise vollzogen wie die griechische Philosophie“ (122). Somit ist nicht nur die Philosophie, sondern auch die Religion Bestandteil der Genealogie der Vernunft. Der Szientismus unseres modernen wissenschaftlichen Weltbildes entwertet jedoch, wie Habermas hervorhebt, „alle Typen von Aussagen, die sich nicht auf experimentelle Beobachtungen, Gesetzesaussagen oder kausale Erklärungen zurückführen lassen – also moralische, rechtliche und evaluative Aussagen nicht weniger als religiöse“ (123).

Das Zentrum der Entstehung des Buddhismus ist Zentralasien. Ebenso wie der Hellenismus fand der Buddhismus eine Ausbreitung über die Seidenstraße (124), deren bedeutendste westliche Endpunkte die griechisch-hellenistischen Metropolen Alexandria und Byzantion/Konstantinopel bildeten. Nach dem Asien-Feldzug von Alexander III. von Makedonien (= Alexander der Große) (356-323 v. Chr.), der sich über einen Zeitraum von zehn Jahren vom Frühjahr 334 bis zum März 324 v. Chr. ereignete, bestand über mehrere Jahrhunderte ein griechisch-baktrisches Königreich in Zentral-Asien, dem das indo-griechische Königreich und das Königreich Kuschana folgten. Dort in Zentral-Asien entstand der Geaeko-Buddhismus (125) als das Ergebnis eines kulturellen Synkretismus zwischen der klassischen griechischen Kultur und dem Buddhismus, der sich über einen Zeitraum von ca. 8oo Jahren entwickelte. Ein Beispiel für diesen Synkretismus bildet die Gandhara-Kultur (126) in Zentral-Asien, von wo aus der Buddhismus nach China, Korea und Japan gelangte. Das Entstehungszentrum der christlichen Religion ist der östliche Mittelmeerraum, der kulturell von den griechisch-hellenistischen Metropolen Alexandria, Antiochia am Orontes und Byzantion/Konstantinopel dominiert wurde, und hier ging die christliche Religion durch Kulturaustausch insbesondere mit dem Hellenismus hervor. Wie dargestellt, ist die Ikonografie insbesondere des Buddhismus, aber auch des Christentums durchgehend vom Ideal der Apatheia und dessen Propagierung geprägt. Offensichtlich sind schon in den Kulturen der antiken Gesellschaften der Achsenzeit auf Grundlage philosophischer Reflektion kulturelle Grundlagen für eine friedliche Weltgesellschaft geschaffen und systematisch weltweit umgesetzt worden, um die Menschheit zu einem tugendhaften Lebensstil anzuleiten. Dieses Projekt der Achsenzeit erfährt insbesondere durch die politische Religion des modernen Nationalismus einen Abbruch. Einem Besucher aus dem buddhistischen Asien muß die in Europa zur Schau gestellte nationalstaatliche öffentlichen Gedenk- und Erinnerungskultur als Ausdruck eines brutalen und gewaltverherrlichenden Todeskultes erscheinen.

10. Der moderne Nationalismus als politische Religion des Zeitalters der Moderne

Der moderne Nationalismus hat den Charakter einer politischen Religion mit Ritualen und Kulten, die von klassischen Religionen übernommen und abgeleitet wurden. Dies scheint überhaupt nicht in unser säkulares und aufgeklärtes Zeitalter passen zu wollen und ist daher in hohem Maße erklärungsbedürftig. Die Idee des modernen Nationalismus ist die wirkmächtigste Idee, die jemals von Europa ausgegangen ist, und sie ist heute auf der gesamten Welt alternativlos, denn überall werden die Menschen genötigt, sich in Nationen und Nationalstaaten zu organisieren. Das extreme 20. Jahrhundert zeigt, daß der Nationalismus als politische Religion der Moderne die gefährlichste Religion ist, die jemals existierte.

In seinem Text: „ Ohne Buddha wäre ich kein Christ“ erörtert der Soziologe Ulrich Beck (1944-2015) die Frage, wie interreligiöse Toleranz in einer kosmopolitischen Weltgesellschaft begründet werden kann, und er stellt das Konzept einer „synkretistischen Toleranz“ vor, deren „Ziel nicht Wahrheit, sondern Frieden ist“ (127). Ulrich Beck stellt fest: „Religion setzt ein Merkmal absolut: den Glauben. Alle anderen sozialen Unterschiede und Gegensätze sind, daran gemessen, unerheblich. (...) Diese Gleichheit, diese Aufhebung der Grenzen, die Menschen, Gruppen, Gesellschaften, Kulturen trennen, ist die Geschäftsgrundlage der (…) Religionen“ (128). Während die Religionen soziale und politische Unterscheidungen aufheben, schaffen sie den neuen Gegensatz zwischen Gläubigen und Ungläubigen, worauf Ulrich Beck verweist: „Religionen können Brücken zwischen den Menschen bauen, wo Hierarchien und Grenzen existieren; zugleich reißen sie neue, religionsbestimmte Abgründe zwischen den Menschen auf, wo zuvor keine waren“ (129). Der Wurzelgrund religiös motivierter Gewalt liegt im Universalismus der Gleichheit der Gläubigen begründet, die den Anders- oder Ungläubigen entzieht, was sie den Gläubigen verspricht: Mitmenschenwürde und Gemeinschaft der Gleichen in einer Welt von Fremden. Infolge der Säkularisierung entstand als Ersatzreligion die Politische Religion des Nationalismus und ein neues Zeitalter der Verfinsterung begann, und Ulrich Beck stellt fest: „Die Vergöttlichung der Nation führt zur Naturalisierung von Intoleranz und Gewalt“ (130). Das Aufkommen und die erlangte „kulturelle Hegemonie“ der Politischen Religion des Nationalismus bedeutet den Niedergang und das Ende des Zeitalters der Aufklärung.

Als politische Religion der Moderne entstand der moderne Nationalismus als Reaktion auf gesellschaftliche Modernisierungsprozesse und damit verbundene Integrationsprobleme der Gesellschaft sowie Legitimationsprobleme der politischen Herrschaft. In seinem Text: „Der europäische Nationalstaat. Zu Vergangenheit und Zukunft von Souveränität und Staatsbürgerschaft“ zeigt der Philosoph Jürgen Habermas auf, wie der Nationalstaat eine „neue Form der sozialen Integration“ schuf: „ Die Leistung des Nationalstaats bestand also darin, daß er zwei Probleme in einem gelöst hat: er machte auf der Grundlage eines neuen Legitimationsmodus eine neue, abstrakte Form der sozialen Integration möglich. Das Legitimationsproblem ergab sich, kurz gesagt, daraus, daß sich im Gefolge der Konfessionsspaltung ein weltanschaulicher Pluralismus entwickelte, der der politischen Herrschaft allmählich der religiöse Grundlage des ‚Gottesgnadentums‘ entzog. Der säkularisierte Staat mußte sich aus anderen Quellen legitimieren“ (131). Des weiteren wurde die Bevölkerung durch Modernisierungsprozesse aus den ständischen Sozialverbänden der frühneuzeitlichen Gesellschaft herausgerissen, und das entstehende Nationalbewußtsein ermöglichte eine abstraktere Form der gesellschaftlichen Integration. Das Bewußtsein der Zugehörigkeit zu einer Nation macht die Untertanen zu Bürgern eines einzigen politischen Gemeinwesens. Der Nationalismus und der Nationalstaat reagiert damit auf das Problem der Desintegration der Bevölkerung im Zeitalter der Moderne. Der Nationalismus als politische Religion ersetzt sowohl die herrschaftslegitimatorische Funktion, als auch die gesellschaftsintegrative Rolle, die zuvor die traditionellen Religionen ausgefüllt hatten.

Es stellt sich die Frage, warum sich in der Menschheitsgeschichte Ideen, wie z. B. der moderne Nationalismus durchsetzen und verbreiten, obwohl sie erkennbar für die Menschen schädlich sind. Offensichtlich entwickelt sich die Geschichte nicht zum Nutzen der Menschen. Dieser Nutzen ließe sich nicht einmal definieren, denn jede Kultur definiert diesen Nutzen anders. In den Gesellschaftswissenschaften bieten verschiedene Theorien der soziokulturellen Evolution (132) hierzu Erklärungsmodelle:

In der Memetik werden Kulturen als eine Form von mentalen Parasiten betrachtet und die Menschen als deren hilflose Wirte. Nach der Mem-Theorie (133) basiert die kulturelle Evolution auf der Vervielfältigung von kulturellen Informationseinheiten, den Memen. Mem-Gruppen, wie Religionen, Ideologien oder wissenschaftliche Theorien werden Memkomplexe genannt. Eine Religion ist danach eine Gruppe von Ideen und Denkmustern, die sich gegenseitig bestärken und gemeinsam auf ihre Verbreitung hinwirken. Grundlage dieser Einordnung bildet die Beobachtung, daß durch Religionen Handlungen und Überzeugungen erfolgreich verbreitet werden können, die außerhalb ihres religiösen Kontextes sinnlos erscheinen oder im Gegensatz zur objektiven Realität stehen. Eine Kultur ist dann erfolgreich, wenn es ihr gelingt, ihre Meme weiterzugeben, egal ob dies den menschlichen Wirten nutzt oder schadet. Demnach können Kulturen als Parasiten verstanden werden, die zufällig entstehen und alle infizierten Menschen ausbeuten, wie die Psychologin Susan Blackmore in ihrem Text: „Meme und die Zukunft unseres Geistes“ erklärt: „Ob dieses dem Wohl der Menschen dient, ist unerheblich. Die Religionen sind aufgrund ihrer parasitären Natur ‚Viren des Geistes‘ genannt worden, aber Meme umfassen die ganze Bandbreite vom hochinfektiösen Virus über die weitgehend neutralen Meme, die unsere komplexe Kultur durchdringen, bis hin zu den nützlichsten Werkzeugen, die Sprache, Wissenschaft und Technologie darstellen. Mem-Gruppen wie Religionen, Ideologien oder wissenschaftliche Theorien werden ‚Memkomplexe‘ genannt (134).

In der postmodernen Theorie sind Diskurse (135) die Grundbausteine der Kultur. Auch hier verbreiten sich Kulturen unabhängig von einem Nutzen oder Schaden für die Menschen, wie der Historiker Yuval Noah Harari in seinem Buch: Eine kurze Geschichte der Menschheit“ darstellt: „Den Nationalismus beschreiben sie beispielsweise als tödliche Plage, die sich im 19. und 20. Jahrhundert auf der ganzen Welt ausbreitete und Krieg, Unterdrückung, Hass und Völkermord schürte. Das nationalistische Virus gab vor, dem Menschen zu nutzen, doch genutzt hat es vor allem sich selbst. Sobald die Menschen eines Landes davon befallen waren, steckten sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch ihre Nachbarländer an. Die Menschen hatten zwar wenig von diesem Virus, doch es breitete sich von einem zum anderen aus wie die Grippe“ (136).

Die Spieltheorie erklärt, warum sich in sozialen Systemen mit mehreren Akteuren bestimmte Ansichten und Verhaltensmuster durchsetzen und verbreiten, obwohl sie allen Beteiligten schaden. Ein bekanntes Beispiel ist der Rüstungswettlauf (137), worauf der Historiker Yuval Noah Harari verweist: „Oft stürzt ein Wettrüsten alle Beteiligten in den Ruin, ohne dass sich das militärische Gleichgewicht nennenswert verändert. Wenn Pakistan moderne Kampfflugzeuge kauft, zieht Indien nach. Wenn Indien die Atombombe entwickelt, folgt Pakistan auf dem Fuß. Wenn Pakistan seine Flotte ausbaut, hält Indien dagegen. Unterm Strich bleibt das Machtgleichgewicht mehr oder weniger unverändert, doch Milliarden von Euro, die man in Bildung oder Gesundheit hätte investieren können, wurden stattdessen für Waffen ausgegeben. Verstehen die Inder und Pakistani das nicht? Das tun sie sehr wohl. Trotzdem können sie sich der Dynamik des Rüstungswettlaufs nicht entziehen. ‘Wettrüsten‘ ist ein kulturelles Muster, das wie ein Virus von einem Land auf das andere überspringt, allen schadet, aber sich selbst nutzt. (…) Es spielt keine Rolle, ob sie sich an die Spieltheorie, die Postmoderne oder die Memetik halten. Es ist nur wichtig zu verstehen, dass das Wohl der Menschen nicht zu den Leitprinzipien der Geschichte gehört, und dass es keinen Grund zu der Annahme gibt, die erfolgreichsten Kulturen der Geschichte seien automatisch der beste Lebensraum für den Homo Sapiens. (…) Und die Menschen sind in der Regel viel zu unwissend und schwach, um den Lauf der Geschichte zu ihrem Vorteil zu lenken. Die Geschichte schreitet von einem Scheideweg zum anderen voran und nimmt aus unerfindlichen Gründen mal die eine Richtung, mal die andere“ (138).

Um eine erfundene Ordnung, wie den Nationalismus aufrechtzuerhalten, reichen Zwang und Gewalt alleine nicht aus. Die Menschen müssen vielmehr daran Glauben. Damit die Menschen an erfundene Ordnungen wie den Nationalismus glauben, darf nicht zugegeben werden, daß diese Ordnung nur ein Fantasieprodukt ist. Hingegen müssen die Menschen dazu gebracht werden, daß sie mit unerschütterlicher Überzeugung daran glauben, daß die Ordnung, auf die sich die Gesellschaft stützt, eine objektive Wirklichkeit ist, die entweder von Göttern geschaffen wurde, oder die den Gesetzen der Natur entspricht. Darüber hinaus werden die Menschen einer lebenslänglichen Gehirnwäsche unterzogen: An die Grundsätze dieser erfundenen Ordnung wird immer wieder erinnert und sie wird überall in die gesamte Kultur eingebaut. Mehrere Faktoren hindern uns daran zu erkennen, daß die Ordnung, die unserem Leben zugrunde liegt, nichts anderes als ein Fantasieprodukt ist: Die erfundene Ordnung ist mit der materiellen Welt fest verwoben, sodaß diese Ordnung im Laufe der Zeit immer selbstverständlicher wird und wir uns kaum noch eine andere vorstellen können. Zudem prägt die erfundene Ordnung unsere Wünsche, denn von Geburt an wird jeder unserer Wünsche durch die Mythen dieser Ordnung vorgegeben. Des weiteren ist die erfundene Ordnung intersubjektiv, da sie in der kollektiven Fantasie von Millionen von Menschen existiert und wirksam wird und so die gesellschaftliche Realität bestimmt und gestaltet. In seinem Buch: „Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen“ erklärt der Historiker Hans-Ulrich Wehler die Überzeugungskraft der Doktrin des Nationalismus: „Denkmäler und Umzüge, Feste und Hymnen streben danach, ihn wachzuhalten und in den emotionalen Tiefenschichten zu verankern. Zahllose Vereine bemühen sich, das ‚nationale Erbe‘ zu verwalten und zu mehren. Die Berufung auf die in eine nationale Tradition umgewandelte Vergangenheit des eigenen ethnischen Verbandes musste ebenso glaubwürdig bleiben, wie die nationalistische Deutung von Krise und Normalität anderen Weltbildern überlegen zu sein hatte. Eben diese Demonstrationsleistung des Nationalismus, dass er das umfassendere, erhebendere, realitätsnähere Weltbild besitze, ist aber während der Nationsgenese überall zu beobachten“ (139).

11. Der antagonistische Gegensatz von Nationalismus und Menschenrechten

In der herrschenden politischen Theorie wird die Idee der Nation und die Idee der Menschenrechte als gleichursprünglich und kongruent gelehrt. Diese Gleichursprünglichkeit wird auf die Französische Revolution zurückgeführt, die die Tradition des Nationalstaats mit der Gleichsetzung von nationaler Souveränität und der Geltung von Bürger- und Menschenrechten begründete. Doch diese Lehre der Gleichursprünglichkeit und Kongruenz hat sich - insbesondere in Anbetracht der Geschichte des extremen 20. Jahrhunderts - vor der Geschichte unrettbar blamiert, diskreditiert und sie wurde ad absurdum geführt. Es ist insbesondere die radikalisierte Idee des modernen Nationalismus, die die Grundlagen für die Verbrechen des extremen 20. Jahrhunderts schuf. Zweifellos sind die Idee der Nation und des Nationalstaats sowie die Idee der Menschenrechte und Minderheitenrechte miteinander inkorporatibel und sie schließen einander aus. Doch noch weiterhin wird überall der Idee der Nation und des Nationalstaats eine Priorität und Dominanz gegenüber der Idee der Menschen- und Minderheitenrechte eingeräumt, und letztere kommen erst und nur dann zum Zuge, wenn sie erstere nicht beeinträchtigen und behindern. So kann man ohne jeglichen Zweifel den Nationalismus als die gefährlichste Religion des Zeitalters der Moderne bezeichnen.

Bezüglich der Vergesellschaftung des Menschen bestehen nur zwei natürliche Tatsachen oder Fakten: Zum einen sind dies die Individuen, zum anderen ist das die Menschheit. Alles dazwischen sind Konstrukte, Ideen, Konventionen und Verträge. Wie dargestellt ist die Idee der Nation keine natürliche Tatsache, sondern ein Konstrukt und damit eine Erfindung, und diese Idee existiert nur in der Vorstellung einiger Menschen, und sonst nirgends. Nicht die Idee der Nation, sondern die Idee der allgemeinen und universellen Menschenrechte und ein auf deren Grundlage begründetes Weltbürgerrecht bestimmen das Verhältnis der Individuen untereinander als Bestandteilen der Menschheit. Dies soll am Beispiel des Traktats des Philosophen Immanuel Kant (1724-1804) „Zum ewigen Frieden“ (140) (1795) aufgezeigt werden: Der Kerngehalt von Kants Traktat „Zum ewigen Frieden“ läßt sich folgendermaßen auflisten:

a) Ausgangslage (S. 169): Der gemeinsame Besitz der Oberfläche der Erde durch alle Menschen bzw. die Menschheit, „auf der als Kugelfläche sie sich nicht ins unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch neben einander dulden müssen, ursprünglich aber niemand an einem Ort der Erde zu sein mehr Recht hat, als der Andere.“

b) Die Idee des Weltbürgerrechts (S. 172): Im Weltbürgerrecht wird das Staats- als auch das Völkerrecht zum „öffentlichen Menschenrecht“. 

c) Die Idee der Weltrepublik (S. 172): Hierbei wird „die Rechtverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt“.

d) Die Idee des Völkerbunds (S. 164), der „kein Völkerstaat sein müßte“: Menschen, Völker und Staaten treten „in eine der bürgerlichen ähnlichen Verfassung, wo jedem sein Recht gesichert werden kann.“ Die Ausführbarkeit erfolgt gemäß

e) der Idee der Föderalität (S. 167): in Form eines föderativen Zusammenschlusses, um „so den Freiheitszustand der Staaten gemäß der Idee des Völkerrechts zu sichern“.

f) Die Idee des Völkerrechts (S. 166): Die Idee des Völkerrechts hat zur Aufgabe, daß es „Krieg als Rechtsgang schlechterdings verdammt, den Friedenszustand dagegen zur unmittelbaren Pflicht macht, welcher doch ohne einen Vertrag der Völker unter sich nicht gestiftet oder gesichert werden kann.“

g) Die Idee des Friedensbundes (S. 167): Diese sucht „alle Kriege auf immer zu endigen“ und unterscheidet sich damit vom Friedensvertrag, der nur einen Krieg zu endigen sucht, was zur Konsequenz hat (S. 154): „Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören.“

In seinem Text: „Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?“ erörtert der Philosoph Jürgen Habermas das Projekt einer Weltgesellschaft (141), das der Philosoph Immanuel Kant in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ im Jahre 1795 vorentworfen hatte, vor dem Hintergrund gegenwärtiger globaler Entwicklungen: „Mit dem Entwurf eines ‚weltbürgerlichen Zustands‘ hat Kant den entscheidenden Schritt über das allein auf Staaten bezogene Völkerrecht hinaus getan. Inzwischen hat sich das Völkerrecht nicht nur als juristische Fachdisziplin ausdifferenziert; nach zwei Weltkriegen hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts auf dem von Kant zugewiesenen Wege zum Weltbürgerrecht Fortschritte gemacht und in internationalen Verfassungen, Organisationen, Verfahren institutionelle Gestalt angenommen“ (142). Doch noch heute ist das Völkerrecht (143) ein Recht von Nationalstaaten, die ihre Interessen als Nationalstaaten wahrnehmen, und die Transformation des Völkerrechts als einem Recht von Staaten in ein Weltbürgerrecht als einem Recht von Individuen und der Menschheit auf Grundlage allgemeiner und universeller Menschenrechte steht noch aus.

Das heutige UN-System ist weit von den Idealen der alten Idee eines Völkerbundes entfernt, wie sie z.B. von Immanuel Kant in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden“ im Jahre 1795 vorentworfen worden ist, und seine Reformbedürftigkeit ist geradezu sprichwörtlich. Es wird auch eine Neugründung auf einer anderen Grundlage gefordert. Im Zentrum sollten nicht souveräne Staaten und ihre Interessen, sondern die Menschen und ihre Rechte stehen, und das traditionelle Völkerrecht, das die Verbrechen des extremen 20. Jahrhunderts ganz erheblich begünstigt und gefördert hatte, müßte von einem Recht souveräner Staaten hin zu einem Weltbürgerrecht und einem Recht der Menschheit transformiert werden auf Grundlage der allgemeinen Menschenrechte.

Alternativen im Bereich der Diplomatie, der internationalen Politik und des Völkerrechts sind erforderlich, zum Einen aufgrund des Versagens traditioneller Diplomatie, was insbesondere am Beispiel des extremen 20. Jahrhunderts deutlich wird, und zum Anderen aufgrund fortbestehender Defizite des Völkerrechts, das weiterhin ausschließlich ein Recht souveräner Nationalstaaten ist, die ihre Interessen als Nationalstaaten vertreten. Das Versagen traditioneller Diplomatie kann exemplarisch am Beispiel der Stadt Évian-les-Bains studiert werden, die am Ufer des Genfer Sees in der Nähe der Stadt Genf liegt und die ich im Rahmen einer Fahrradreise durch Teile der Alpenregion am 02.12.2016 besucht habe. Évian-les-Bains ist ein mondäner Ort mit den üblichen Hotelpalästen, die viele landschaftlich attraktiv gelegene Orte in den Randbereichen der Alpenseen prägen. Es ist eine Kategorie von Orten, in denen früher die Aristokratie ihre Zeit vertrödelte und in denen heute Leute, die nicht wissen, was sie mit ihrem vielen Geld anfangen wollen, ihr Geld verschwenden. Die entsprechenden Einrichtungen, die ihnen dies vereinfachen, sind zahlreich: Teuerste Hotels, Nobelgeschäfte für teueren Schnickschnack, den niemand braucht, und ein Spielcasino. Ich hingegen gehe dort wieder einmal auf historische Spurensuche an einem Originalschauplatz historischer Ereignisse: Vom 06.06.1938 bis zum 15.06.1938 fand in Évian-les-Bains die internationale Konferenz von Évian (144) statt, die die damalige Flüchtlingskrise zum Thema hatte, die aber aufgrund der restriktiven Einwanderungspolitik der meisten Staaten scheiterte. Die historischen Folgen sind bekannt, doch wird dieses historische Ereignis mit seinen schwerwiegenden Folgen von der gängigen Geschichtsschreibung kaum berücksichtigt. Ich hatte erwartet, am Ort dieser Konferenz ein Museum zu diesem Thema, eine Gedenkstätte, oder doch zumindest eine Erinnerungs- und Informationstafel zu finden, doch es gibt im gesamten Ort Évian nichts, was auf das historische Ereignis der Konferenz von Évian Bezug nimmt.

Es ist nicht das erste Mal, daß ich in Frankreich an Originalschauplätzen bedeutsamer historischer Ereignisse nichts antreffe. So mußte ich bei meinem Besuch der Stadt Vichy am 01.08.2018 feststellen, daß es in der gesamten Stadt nichts gibt, das in irgend einer Form an den Zeitraum zwischen dem 22.06.1940 und dem 25.08.1944 erinnert, als die Stadt Vichy unter besonderen Umständen die Hauptstadt Frankreichs gewesen ist (145). Statt dessen wird hervorgehoben, daß Vichy die Sommerhauptstadt von Kaiser Napoleon III (146). gewesen ist. Louis-Napoléon Bonaparte (1808-1873) hatte mit einem Staatsstreich am 02.12.1851 die Macht ergriffen, eine Diktatur errichtet und sich am 02.12.1852 zum Kaiser Napoleon III. ernannt. Er verfolgte politische Gegner und errichtete zu diesem Zweck ein System von Strafkolonien, darunter die Teufelsinsel (147), die den Charakter eines Vernichtungslagers hatte, und einer solchen Strafkolonie setzte der Schriftsteller Franz Kafka (1883-1924) mit seinem Text: „In der Strafkolonie“ (148) ein literarisches Denkmal. Das Bourbaki-Panorama (149) in der Stadt Luzern, das ich am 15.11.2016 besucht habe, zeigt die Umstände des Endes der Herrschaft von Kaiser Napoleon III.

Ein Besuch der Stadt Évian wirft Licht auf den Rahmen, in dem internationale Diplomatie traditionell stattfindet und in dem über das Schicksal von Millionen von Menschen verhandelt und bestimmt wird. In der Nachbarstadt Genf scheiterte der Völkerbund (150), der vom 28.04.1919 bis zum 18.04.1946 existierte. Ebenso wie heute in seiner Nachfolgeorganisation, der UNO, saßen im Völkerbund die Vertreter von Staaten, die dort die Interessen ihrer Staaten vertraten und das gemeinsame Menschheitsinteresse auf Grundlage universeller Humanität kaum jemanden interessierte. In seiner Biografie: „Helmuth James von Moltke. 1907-1945. Eine Biografie“ beschreibt der Historiker Günter Brakelmann eine Reise des Experten für Völkerrecht, Helmuth J. von Moltke im März 1935 nach Genf, wo Moltke die Einrichtungen des Völkerbundes besuchte: „Er wollte sich vor Ort ein eigenes Bild von der politischen Lage und den Arbeitsmöglichkeiten machen. Basel, Bern, Genf, Paris, Den Haag und London waren im März und April 1935 die wichtigsten Stationen seiner Erkundungsreise. (…) Wichtig war ihm aufgrund seines Interesses am Völkerrecht der Besuch beim Völkerbund In Genf.“ Von diesem Besuch beim Völkerbund in Genf berichtete Moltke am 31.03.1935: „‘Es wimmelt von Bürokraten, aber es fehlen Menschen von Format völlig.‘ Alle seien nur Interessenvertreter ihrer Länder und würden an ihre eigene Karriere denken. Anders sehe es nur bei denjenigen Beamten aus (Russen, Italiener, Deutsche), die den Bruch mit ihren Heimatländern vollzogen hätten, aber im Sekretariat des Völkerbundes geblieben seien. Moltkes Eindruck: ‚Hier scheint man auch ganz kühl mit einem großen europäischen Krieg zu rechnen.‘ Aber man reagiere ganz passiv und lasse den Dingen ohne Gegenwehr ihren Lauf. Zukunft habe der Völkerbund aber nur, wenn er sich zu einer ‚unabhängigen Macht‘ entwickeln würde“ (151).

So bildet in der Arbeit und Gesamtleistung des Völkerbundes das Wirken des Polarforschers und Diplomaten Friedjof Nansen (152) als Hochkommissar für Flüchtlingsfragen des Völkerbundes eine herausragende, beachtenswerte und Beispiel gebende Ausnahme. Nansen bearbeitete erfolgreich mehrere Krisen in Europa, die infolge des Ersten Weltkrieg aufgetreten waren, darunter die Rückführung von Kriegsgefangenen und Kriegsflüchtlingen, sowie die Flüchtlingskrise in Rußland, die infolge der Russischen Revolution und des nachfolgenden Bürgerkrieges entstanden war. Ein weiteres Arbeitsfeld Nansens war die Hungersnot in Rußland, wobei er feststellen mußte, daß diese von den westlichen Staaten gegen die Sowjetunion instrumentalisiert wurde, sodaß er diese Hungersnot nicht verhindern konnte, obwohl die Möglichkeiten dafür bestanden. In seinem Buch „Rußland und der Friede“ analysiert Fridtjof Nansen diese Hungerkrise in Rußland und die Schwierigkeiten, diese zu verhindern, im Zusammenhang mit der damaligen Weltlage, und er stellt fest: „Auf dem Kongreß des Völkerbundes in Genf, im September 1921, versuchte ich vergebens, diese Liga der Nationen zu bewegen, sich an die Spitze des Hilfswerkes zu stellen, um eine internationale Anleihe von den Regierungen zu erhalten, um den hungernden Millionen in Rußland zu Hilfe zu kommen. Sie konnten noch gerettet werden, wenn schnelle Hilfe gebracht wurde, ehe der Winter dem Transport Hindernisse in den Weg legte, sie waren aber andernfalls dem Tode verfallen. Dafür, daß der Völkerbund es abschlug, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen, waren verschiedene Gründe maßgebend. (…) Ein anderer Einwand, der sicher bei vielen Politikern schwer ins Gewicht fiel, wurde namentlich von den russischen Emigranten vorgebracht. Sie vertraten die Meinung, dem hungernden und leidenden russischen Volk zu helfen, sei gleichbedeutend mit einer Stützungsaktion für die Sowjetregierung und für die Bolschewiki, und eine solche Handlung sei verwerflich. Viele Emigranten gaben offen zu, daß sie lieber die vielen Millionen ihrer Landsleute, unschuldige Männer, Frauen und Kinder, opferten, sie lieber dem sicheren und qualvollen Hungertod überlassen würden als zuzugeben, daß die bolschewistische Regierung irgendwie gestützt würde. Das Leben unschuldiger Menschen galt diesen Politikern wenig oder nichts. Meiner Ansicht nach ist es tief zu beklagen, daß die internationale Anleihe, um die wir damals baten, nicht gewährt werden konnte. Hätte man die notwendigen Mittel damals, im September 1921, beschafft, wäre es noch Zeit gewesen, den heimgesuchten Landstrichen in Rußland Vorräte zuzuführen. Millionen hungernder Bauern und ihre Haustiere hätten gerettet, Rußlands Landwirtschaft hätte wieder auf die Beine gebracht werden können. (…) Die Herzen der Politiker sind oft hart und unmenschlich. (153)“. Zudem war die Flüchtlingskrise in Kleinasien ein Arbeitsfeld Nansens im Rahmen seiner Tätigkeit als Hochkommissar für Flüchtlingsfragen des Völkerbundes. Die bei dieser Flüchtlingskrise erfolgten Zwangsumsiedlungen sind ein Beispiel für Ethnische Säuberungen, die das extreme 20. Jahrhundert prägen. Nansen schuf die Institution des sogenannten „Nansen-Passes“ (154) für staatenlose Flüchtlinge und Emigranten.

12. Nationalismus und Gewalt im Zeitalter der Moderne: Ethnische Säuberungen

Heute gerät das gesamte Zeitalter der Moderne und insbesondere das Industriezeitalter in Verdacht, im extremen 20. Jahrhundert zu kulminieren. In der Geschichte der Theorie des Nationalstaates sind, spätestens seit Niccolò Machiavelli (1469-1527) und dem Beginn der Moderne, Gewalt und Zwang stets als seine zentralen Merkmale betrachtet worden, wie der Soziologe Martin Albrow in seinem Buch: „Abschied vom Nationalstaat. Staat und Gesellschaft im Globalen Zeitalter“ feststellt: „Von Anfang an schien es zu seinen unvermeidlichen Bestandteilen zu gehören, Gewalt nicht nur gegen andere Staaten, sondern auch gegen das eigene Volk anzuwenden“ (155). Insbesondere zwischen 1900 und 1945 erlebten die europäischen Gesellschaften eine Welle nationaler Mobilisierungen und der Nationalismus wurde zur beherrschenden Denkfigur. Es ist insbesondere die radikalisierte Idee des modernen Nationalismus mit ihrem Ideal der homogenen Nation und homogener Nationalstaaten, die die Grundlagen für die Verbrechen des extremen 20. Jahrhundert schuf. So ist das Zeitalter des modernen Nationalismus als Bestandteil des Zeitalters der Moderne ein Zeitalter endloser Gewalt, Terrorismus, ethnischer Säuberungen und weiterer Verbrechen.

Daher ist nicht der Minderheitenschutz (156), sondern sind insbesondere Ethnische Säuberungen und Vertreibungen (157) eine das extreme 20. Jahrhundert prägende Erscheinung, und ihr Übergang zum Genozid ist fließend. Hierbei sind Ethnische Säuberungen, wie der Historiker Philipp Ther in seinem Buch: „Die dunkle Seite der Nationalstaaten. ‚Ethnische Säuberungen‘ im modernen Europa“ hervorhebt, „keine Erfindung totalitärer Diktaturen (…). Ethnische Säuberungen sind ein Kind des Nationalstaats und damit zentraler Bestandteil der europäischen Moderne“ (158). Ethnische Säuberungen sind nicht etwa irrational, sondern sie werden in hohem Maße rational geplant. Sie gehen auf spezifisch europäische und moderne, sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts radikalisierende Vorstellungen über Nationen und Nationalstaaten zurück und bilden somit einen gesamteuropäischen Topos. Die Idee der Ethnischen Säuberung hat ihre Grundlage im Ideal homogener Nationen und Nationalstaaten, und bei Ethnischen Säuberungen geht es um Minderheiten, die sowohl diesem Ideal, als auch dem Recht der Nation, das eigene Territorium zu beherrschen, im Weg stehen. Auf Grundlage des Ideals homogener Nationen und Nationalstaaten errichtet der Nationalismus ein System einer Apartheit räumlicher Segregierung, das jeder Nation ein „Homeland“ oder Reservat zuweist.

Das Zeitalter des Imperialismus kulminiert in den beiden Weltkriegen, und nicht zufällig ist das Zeitalter der Weltkriege von Ethnischen Säuberungen geprägt: Der Vollzug der Ethnischen Säuberung schafft in einer schon aufgeteilten Welt das Faktum einer „Terra Nullius“ (159), die nun in Besitz genommen, kolonisiert und besiedelt werden kann. Das Zeitalter das Imperialismus mündet im Ersten Weltkrieg (160), dem ersten totalen industriellen Krieg und der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (161). Beim Ersten Weltkrieg stellen sich die Fragen nach den komplexen Ursachen, warum dieser Krieg entstehen konnte, warum er nicht frühzeitig beendet, sondern von allen Kontrahenten immer weiter geführt wurde, und warum anschließend kein dauerhafter Friedenszustand geschaffen wurde. Für die Beantwortung dieser Fragen ist die Betrachtung der Kriegsziele der verschiedenen Kontrahenten aufschlußreich (162). „Der Erste Weltkrieg war ein wichtiges Laboratorium für das, was kommen sollte“, erklärt der Historiker Karl Schögel in seinem Text:“ Bugwelle des Krieges“: „Hier wurden die Methoden und Praktiken des totalen Krieges erstmals in großem Stil erprobt. (…) Hier wurden Praktiken vervollkommnet, die man zuvor schon an der Peripherie des Imperialismus, in den Kolonien, erprobt hatte – vom Konzentrationslager über Grenzziehung mit dem Rasiermesser bis zur lässigen Routine der Massenexekution; der Rassismus wanderte, wie Hannah Arendt gezeigt hatte, von der Peripherie ins Mutterland zurück“ (163).

Auf internationaler Ebene traten insbesondere westeuropäische Politiker und Wissenschaftler für ethnische Säuberungen ein, und dies zeigt, wie wichtig es ist, die Ebene der internationalen Politik und den dort bestehenden Konsens zu einem System homogener Nationalstaaten zu betrachten. In der internationalen Politik schuf die während der Konferenz von Lausanne am 30.01.1923 vereinbarte Konvention zum Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei (164), die Bestandteil des Vertrags von Lausanne (165) vom 24.07.1923 war, als „Modell Lausanne“ einen Präzedenzfall für nachfolgende Vertreibungen, was der Historiker Philipp Ther in seinem Buch: „Die Außenseiter. Flucht, Flüchtlinge und Integration im modernen Europa“ hervorhebt: „Während das Leid der Flüchtlinge rasch in Vergessenheit geriet, priesen Politiker aus ganz Europa das Abkommen von Lausanne als Modell zur Beilegung von Konflikten zwischen verfeindeten Nationen. Das Stichwort ‚Lausanne‘ diente von 1937 bis 1947 als Referenzpunkt für ein knappes Dutzend internationaler Abkommen, in denen massenhafte Bevölkerungsverschiebungen vereinbart und geregelt wurden. Ein näherer Blick auf das türkisch-Griechische Verhältnis zeigt, dass die Konflikte mitnichten gelöst waren“ (166).

Der Experte für Völkerrecht Alfred-Maurice de Zayas bestätigt in seinem Buch: „Die Nemesis von Potsdam. Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen“, daß das „Modell Lausanne“ einen Präzedenzfall für nachfolgende Vertreibungen im 20. Jahrhundert schuf: „Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich dann die gewaltsame Umsiedlung als politisches Prinzip (…) allgemein durch. Der Vertrag über den Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei, von dem etwa zwei Millionen Menschen betroffen waren, wurde zum historischen Markstein, weil ihm der Völkerbund zustimmte und seine Durchführung überwachte – ein unheilvolles Vorzeichen dessen, was später kam“ (167). Von den Zwangsmigrationen im Rahmen des Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei waren 1,6 Mio. Personen betroffen, darunter 1,2 Mio. Griechen in Kleinasien sowie 400.000 Muslime in Griechenland. Der gewaltsame Bevölkerungsaustausch führte zu einem abrupten Ende der seit der Antike über einen Zeitraum von 2.500 Jahren bestehenden Siedlungskontinuität von Griechen in Kleinasien sowie zu einem Ende der seit fast 500 Jahren bestehenden muslimischen Gemeinden in Griechenland. Das „Modell Lausanne“ wurde in der internationalen Politik zum Präzedenzfall für nachfolgende Vertreibungen und Ethnische Säuberungen im extremen 20. Jahrhundert, sodaß das 20. Jahrhundert zu einem extremen Jahrhundert werden konnte, dessen Alleinstellungsmerkmal als einem extremen Jahrhundert insbesondere Ethnische Säuberungen sind. Ethnische Säuberungen wurden zu einem international akzeptablen Mittel, das versprach, innen- und außenpolitische Probleme wirksam und nachhaltig zu lösen, und immer häufiger und in wachsendem Umfang wurde darauf zurückgegriffen.

Dies bestätigt der Historiker Karl Schlögel in seinem Text: „Bugwelle des Krieges“: „Seit Lausanne 1923 galt es den Zeitgenossen als erwiesen, dass unauflösbare und lange schwärende Volkstumskonflikte aufgelöst werden könnten durch eine präzise, wenn auch allseits als schmerzlich empfundene Operation, deren segensreiche Folgen aber schon zu Lebzeiten der Betroffenen abzusehen seien. Das Beispiel von Lausanne machte Schule, es war ein fester Bezugspunkt für so verschiedene Politiker wie Fridtjof Nansen, den Völkerbundskommissar für Flüchtlingsfragen, die ‚großen Drei‘ Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt, Josef Stalin, die in Jalta Bevölkerungstransfers als unabweislich angesehen hatten, für Edvard Beneš, der ein Anhänger des Bevölkerungstransfers war – und Adolf Hitler, den Erfinder der ‚ethnografischen Flurbereinigung‘, die im Völkermord endete. Das Hauptargument lautete immer: Der Frieden der Welt sei zu kostbar, als dass er von kleinen Grenz- und Minderheitenkonflikten abhängig gemacht werden dürfe. Nur die rasche, vollständige und präzise ‚chirurgische Operation‘, nichts Halbes, sei die angemessene Reaktion der Gemeinschaft der friedliebenden Völker“ (168). Karl Schlögel ergänzt: „Das 20. Jahrhundert hat die Völkerverschiebung im besten Fall als ‚heroisches Heilmittel‘ (Herbert Hoover), als ‚kleineres Übel‘, im schlimmsten Fall als Großprojekt des Social Engineering, als soziale Plastik bei der Schaffung des idealen Volkes oder der idealen Rasse propagiert“ (169).

Das „Modell Lausanne“ wurde zum Planungsleitbild des 20. Jahrhunderts, wie der Historiker Holm Sundhausen in seinem Text: „Staatsbildung und ethnisch-nationale Gegensätze in Südosteuropa“ darstellt, doch die „Abkehr der internationalen Gemeinschaft vom ‚Modell Lausanne‘ hat die Rekonstruktion multiethnischer Gemeinschaften nicht nachhaltig gefördert. (…) Die Tendenz zur ethnischen Homogenisierung immer kleinerer Räume hält somit an. (…) Die Transformation vom ethnonationalen Staat zu einer multiethnischen und ethnisch neutralen Staatsbürgergemeinschaft, die nur den Menschenrechten verpflichtet ist, muß bei der Titularnation ansetzen. Wo sonst? Erst danach kann auf ethnische Minderheitenrechte oder Territorialautonomien verzichtet werden. Der umgekehrte Weg ist weder praktikabel noch akzeptabel“ (170). Im Gegensatz zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die internationale Staatengemeinschaft massenhafte Bevölkerungsverschiebungen veranlaßte oder daran mitwirkte, sind Ethnische Säuberungen heute geächtet, obwohl sie sich weiterhin bis in die Gegenwart ereignen, wie u.a. das Beispiel des ehemaligen Jugoslawien zeigt. Die Ächtung beruht vor allem auf der UN-Genozidkonvention vom 09.12.1948. Der Historiker Hans Rothfels kommentiert in seinem Text: “Die Bewältigung der Gegenwart und die Geschichte“ die Geschichte der Vertreibungen: „Wenn eine Lehre im Sinne des Leitbildes aus der Geschichte der Vertreibungen zu ziehen ist, so doch wohl die, daß nichts derartiges wieder geschehen darf, wenn Europa noch eine Zukunft haben soll“ (171).

Doch noch erfolgte kein vollständiger historischer Bruch mit dem extremen 20. Jahrhundert und es erfolgte keine vollständige Revision der dieses ermöglichenden Ideen und Konzepte, da wesentliche, das extreme 20. Jahrhundert prägende und konstituierende Merkmale fortbestehen, sodaß sich das extreme 20. Jahrhundert digitaltechnisch modernisiert ins 21. Jahrhundert verlängert und die abschließende Historisierung des extremen 20. Jahrhunderts durch den Historiker Eric Hobsbawm (1917 – 2012) als „Das Zeitalter der Extreme“ (172) zu früh erfolgt ist. Wie die auch nach der vermeintlichen Epochenwende 1989/90 fortbestehenden Krisen, Konflikte und Kriege zeigen, setzt sich das extreme 20. Jahrhundert als „Zeitalter der Extreme“ vielmehr im 21. Jahrhundert weiter fort, da wesentliche das extreme 20. Jahrhundert prägende Merkmale weiter fortbestehen, diese sich einem historischen Bruch verweigern und ihre Kontinuität ins 21. Jahrhundert verlängern. Nach dem Zeitalter der Bipolarität und der Blockkonfrontation bestand zu Beginn der 90er Jahre tatsächlich die Hoffnung, daß ein neues globales Zeitalter des Friedens, der Kooperation und der Entwicklung anbrechen würde, was sich jedoch als Illusion erwies, wie wir heute feststellen müssen. Warum dieses nicht gelang, werden zukünftige Historiker ergründen, erforschen und analysieren müssen.

13. Nationalismus und Gewalt in Europa am Beispiel Österreich-Ungarn

Noch immer gilt es in Europa als Zumutung und als ein zu beseitigender Zustand, wenn mehrere Sprachgruppen in einem Staat zusammenleben (müssen), und der homogene Nationalstaat gilt weiterhin als das anzustrebende Ideal der Politik. Doch insbesondere die östliche Hälfte Europas ist durch eine hochgradige Gemengelage der verschiedenen Sprachgruppen, Ethnien und Religionen geprägt, wie ein Blick auf eine Siedlungskarte unübersehbar erkennen läßt. Daher waren bis zum Ersten Weltkrieg die meisten Staaten in der östliche Hälfte Europas Vielvölkerstaaten (173) bzw. Nationalitätenstaaten. So auch das Kaiserreich Österreich-Ungarn (174), welches ein geradezu idealtypisches Beispiel eines Vielvölkerstaates gewesen ist. Der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn sah sich der weitgehenden Gleichberechtigung der Sprachgruppen und Völker verpflichtet, was in Artikel 19 (Gleichberechtigung aller Volksstämme des Staates) der Dezemberverfassung Österreich-Ungarns von 1867 zum Ausdruck gelangte, und wie der Historiker Philipp Ther in seinem Buch: „Die dunkle Seite der Nationalstaaten. ‚Ethnische Säuberungen‘ im modernen Europa“ feststellt: „Jeder der ‚Volksstämme‘ der Monarchie hatte gemäß der Verfassung von 1867 anerkannte Rechte, Individuen durften wegen ihrer Nationalität nicht benachteiligt werden“ (175). Der Historiker und Politiker František Palacký (1789-1876) vertrat die Auffassung: „Wahrlich, existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müßte im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen“ (176).

Doch radikale Nationalisten trugen wesentlich zur Auflösung und zum Ende des Vielvölkerstaats Österreich-Ungarn bei, und sie erreichten ihr Ziel am Ende des Ersten Weltkrieges. Hierbei kam dem vom Philosophen Tomáš Garrigue Masaryk (177) im Exil gebildete Tschechoslowakische Nationalrat (178), deren Generalsekretär der Soziologe Edvard Beneš (179) wurde, eine herausragende Bedeutung zu. Dieser Tschechoslowakische Nationalrat wurde nämlich von den Entente-Staaten als Exilregierung anerkannt. Masaryk veröffentlichte sein Programm in seinem Buch „Das neue Europa“ (180). Aus dem Tschechoslowakischen Nationalrat ging am 14.10.1918 eine vorläufige tschecho-slowakische Regierung (181) hervor, die am 18.10.1918 die tschechoslowakische Unabhängigkeitserklärung (182) verfaßte, welche am 28.10.1918 in Kraft trat.

Unter dem Vorwand des Selbstbestimmungsrechtes der Völker erzwangen die Siegermächte des Ersten Weltkrieges eine Neuordnung der östlichen Hälfte Europas nach dem Konzept des Nationalstaates. Insbesondere in Ostmitteleuropa (183) und dem sogenannten Zwischeneuropa (184) entstanden neue Nationalstaaten. Doch da es kein Gebiet gab, auf das nicht mehrere Nationalitäten Anspruch erhoben, mußten unausweichlich alle territorialen Regelungen im Osten und Südosten Europas willkürlich sein. In Ihrem Buch: „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ analysiert die Historikerin Hannah Arendt die Folgen des Friedensvertrags von Versailles (185): „Da es sich in Versailles darum handelte, den Status quo in Europa zu restaurieren, blieb gar nichts anderes übrig, als das westliche Prinzip auf den Osten zu übertragen; die einzige Alternative in diesem Rahmen wäre die Einführung kolonialer Unterdrückungsmethoden nach Europa gewesen – wie sie die Panbewegungen immer schon vorgeschlagen hatten“ (186). Arendt hebt hervor, daß „diese neuen Staaten nicht lebensfähig waren. Ihrem Anspruch auf nationale Souveränität entsprach keine der Voraussetzungen, auf welchen die Nationalstaaten, nach deren Muster sie errichtet waren, ruhten. (…) Die Friedensverträge errichteten keine Nationalstaaten, sondern eine Reihe von Nationalitätenstaaten im Zwergmaßstab, wobei sie mehr oder minder eine dieser Nationalitäten zum Staatsvolk avancieren ließen (wie die Tschechen, die rund 50 Prozent der Bevölkerung der Tschechoslowakei, oder der Serben, die nicht mehr als 42 Prozent der Bevölkerung Jugoslawiens ausmachten) (…). Und wie es in einem Nationalstaat wie Polen aussah, in welchem das Staatsvolk kaum zwei Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachte, ist bekannt genug. (…) In den Augen der Minderheiten und der nationalen Gruppen, also aller Völker, welchen in Versailles kein Staat zugebilligt worden war, waren die Verträge das Resultat eines willkürlichen oder parteiischen oder intriganten Spiels, das einen die Herrschaft und anderen die Knechtschaft zuspielte. In den Augen der neuen Staatsvölker war die territoriale Verteilung ebenfalls völlig willkürlich, und sie beeilten sich, den schon bestehenden territorialen Konflikten zahllose neue Grenzstreitigkeiten hinzuzufügen. Mehr denn je waren die territorialen Grenzen zu etwas Willkürlichem und Zufälligem geworden, durch das kein Volk und keine Nationalität zu begrenzen war. Es hätte in dieser Ecke Europas wahrlich nicht Hitlers bedurft, um alle gegen alle zu hetzen“ (187). Infolgedessen war die Zwischenkriegszeit in ganz Europa durch eine Vielzahl bewaffneter Auseinandersetzungen geprägt (188). Hannah Arendt fügt hinzu: „Die Repräsentanten der großen Nationen waren sich wohl bewußt, daß innerhalb des Nationalstaates nationale Minderheiten früher oder später assimiliert oder liquidiert werden müssen“ (189). Der Historiker Karl Schlögel stellt in seinem Text: „Bugwelle des Krieges“ fest, daß das östliche Mitteleuropa „in besonderem Maße zur Experimentierfeld der Moderne wurde – und zum Schauplatz ihres Scheiterns. Europa ist dort, wo es am dichtesten war, gesprengt worden. Man kann diesen Prozeß als die ‚Entmischung‘ Europas bezeichnen, an dessen Ende ethnische Säuberung, Völkermord und ethnisch fast vollständig homogene Staaten stehen. Es handelt sich um den gewalttätigsten Entwurzelungsvorgang der modernen Geschichte“ (190).

Die Tschechoslowakei (191) entstand nach dem Ersten Weltkrieg am 28.10.1918 als ein Zerfallsprodukt des Kaiserreichs Österreich-Ungarn auf Grundlage des Konzepts des „Tschechoslowakismus“ (192). Sie war ein Nationalitätenstaat mit einer Bevölkerungszahl von 13,6 Mio. Einwohnern (1921), darunter 50 % Tschechen, 23 % Deutschen, 14 % Slowaken und 13 % Ungarn, Polen, Ukrainern und weiteren Minderheiten. Die Deutschen in der Tschechoslowakei (193), die nach den Tschechen die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe bildeten, werden auch als „Sudetendeutsche“ (194) bezeichnet. Die Tschechoslowakei hätte mit dem Konzept einer Willensnation (195) nach dem Modell der Schweiz eine historische Chance gehabt. Neben dem Konzept der Willensnation gründet das Modell der Schweiz auf einer Tradition kommunaler Selbstverwaltung, genossenschaftlicher Selbstorganisation und direkter Demokratie, und diese Tradition hat ihren Ursprung im Mittelalter, wo sie weit verbreitet war, doch sie ist heute nirgendwo sonst noch erhalten, und diese Tradition hat nur in der Schweiz allen modernen Tendenzen zur Zentralisierung, die sich seit dem Zeitalter des Absolutismus ereignen, erfolgreich widerstanden. In der Schweiz ist die Vorstellung, einzelne der Sprachgruppen assimilieren oder gar aussiedeln und deportieren zu wollen, geradezu absurd und undenkbar. Doch kompromißlose radikale Nationalisten verhinderten eine Tschechoslowakei als einer „Schweiz im östlichen Mitteleuropa“.

Dazu hat beigetragen, das sich die Tschechoslowakei bei ihrer Entstehung am zentralistischen französischen Verfassungsmodell orientiert hatte. Der Historiker Rudolf Jaworski kommentiert „den ungelösten Widerspruch zwischen der multinationalen Struktur der Tschechoslowakei und dem nationalstaatlichen Anspruch der Tschechen, die nur 51 % der Gesamtbevölkerung ausmachten“, in seinem Text: „Die Sudetendeutschen als Minderheit in der Tschechoslowakei 1918-1938“: „‘To je náš stát‘ (das ist unser Staat) lautete die apodiktische Formel des jungen tschechischen Nationalstaatsbewußtsein. Dieser Staat wurde als das exklusive Eigentum der tschechischen Nation begriffen“ (196). In seinem Buch: „Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen“ kommentiert der Völkerrechtler Alfred Maurice de Zayas diese Entwicklungen. „Nachdem den Sudetendeutschen die Vereinigung mit den Tschechen aufgezwungen worden war (…), hätte die Prager Regierung überflüssige Spannungen vermeiden können, wenn sie die Deutschen zu voller Partnerschaft im Staat herangezogen hätte, auf der Grundlage völliger praktischer wie theoretischer Gleichberechtigung. Die Prager Regierung hätte den Deutschen die Rechte und Möglichkeiten der Tschechen und der Slowaken ebenfalls einräumen sollen. Leider wurde das Modell einer neuen Schweiz, wie es Dr. Benesch bei den Pariser Friedensverhandlungen so feierlich verkündet hatte, niemals verwirklicht“ (197).

Der Nationalitätenkonflikt in der Tschechoslowakei führte zur Sudetenkrise (198) und zum Münchener Abkommen vom 29.09.1938 (199) mit der Folge der Zerschlagung der Tschechoslowakei (200). In seinem Buch: „Die Vertreibung. Böhmen als Lehrstück“ stellt der Kommunikationswissenschaftler und ehemalige Berliner Wissenschaftssenator Peter Glotz (1939-2005) die Frage: „Was für ein Staat wurde im Herbst 1938 von den Signaturmächten des Münchner Abkommens – Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien – amputiert und im Frühjahr 1939 von Hitler zerschlagen? Kühl ausgedrückt: ein brodelnder Nationalitätenstaat, den viele seiner Protagonisten zum Nationalstaat hatten machen wollen, eine ‚neue Demokratie‘, die sich redlich bemühte, aber sich an ihren viel zu großen Minderheiten verschluckt hatte, eine Konstruktion (der Tschechoslowakismus), die nicht trug. Die ČSR war demokratischer als die anderen neuen Nationalstaaten, zum Beispiel die autoritären (und reichlich antisemitisch eingestellten) Regime in Polen, Ungarn und Rumänien. Aber sie war auf einer falschen Versprechung gegründet worden, dem berühmten Satz von Außenminister Beneš in seinem Mémoire III vom Januar 1919: ‚Das Regime würde ähnlich dem der Schweiz sein.‘“ (201). So trugen die Umstände des Zerfalls der Tschechoslowakei zur Entstehung des Zweiten Weltkriegs (202) bei.

Ergebnis der Konferenzen von Teheran (203) (28.11.-01.12.1943), von Jalta (204) (04.-11.02.1945) und von Potsdam (205) (17.07.-02.08.1945) war das Potsdamer Abkommen (206) vom 02.08.1045. Im Potsdamer Abkommen legten die Alliierten die „ordnungsgemäße und humane Überführung“ der Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn fest. Die Historikerin Hannah Arendt zeigt auf, daß „die brutal durchgeführten Bevölkerungstransfers unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg“ auf einen „sorgfältig ausgearbeiteten Plan der Großmächte, bei dieser Gelegenheit den ‚Gürtel der gemischten Bevölkerung‘, so gut es nur irgend ging, zu entmischen“, zurückgeht, und „man hoffte, den Krieg dazu benutzen zu können, um in einem gigantischen Bevölkerungstransfer endlich alle Minderheitenprobleme zu liquidieren“ (207). Dies bestätigt der Historiker Philipp Ther in seinem Buch: „Die Außenseiter. Flucht, Flüchtlinge und Integration im modernen Europa“: Die Alliierten waren sich 1944/45 einig, dass in ganz Ostmitteleuropa (…) ethnische Grenzen gezogen und nationale Minderheiten aufgelöst werden sollten. (…) Diese Maxime galt nicht nur für Deutsche, sondern auch für Polen, Ukrainer, Ungarn, Italiener, im Prinzip für alle nationalen Minderheiten. Churchill und Stalin argumentierten dabei einerseits technokratisch, dass es angesichts moderner Transportmittel leicht möglich sei, Millionen von Menschen umzusiedeln, andererseits mit Verweis auf die bereits in Gang gekommene Massenflucht. In der Tat löste der Vormarsch der Roten Armee eine wahrhafte Völkerwanderung aus. Jeweils mehrere hunderttausend Finnen, Esten, Letten, Litauer, Polen, Ungarn und Rumänen, die teilweise bereits den sowjetischen Besatzungsterror der Jahre 1939-41 durchlebt hatten, machten sich auf den Weg nach Westen. (…) Zählt man all die Flüchtlinge und Vertriebenen der unmittelbaren Nachkriegszeit von Finnland bis zur Ägäis zusammen, kommt man auf mindestens zwanzig Millionen Menschen“ (208). Der Historiker Andreas Kossert stellt in seinem Buch: „Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945“ dar, daß der griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch des Jahres 1923 den Planungen der Alliierten als Vorbild diente: „Als Vorbild für die zwangsweise Massenumsiedlung diente den Westmächten der im Vertrag von Lausanne (1923) sanktionierte griechisch-türkische ‚Bevölkerungsaustausch‘, der trotz der Härten für die Betroffenen als Erfolgsmodell galt. Grundidee war, dass durch die ‚Entmischung‘ historisch gewachsene Gemengelagen in Ostmittel- und Südosteuropa und der Schaffung ethnisch homogener Staaten schwelende Minderheitskonflikte beseitigt und damit der Frieden in diesen Regionen gesichert werden könne“ (209).

Genauere Zahlen zu den Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen der Jahre 1939 bis 1943 im Vergleich zum Zeitraum der Jahre 1944 bis 1948 nennt der Historiker Karl Schlögel in seinem Text: „Bugwelle des Krieges“: So „wurden zwischen 1939 und 1943 rund 15,1 Millionen und zwischen 1944 und 1948 rund 31 Millionen Menschen zeitweise oder für immer zwangsweise umgesiedelt oder vertrieben. Hierzu kamen, immer bezogen auf Ostmitteleuropa – also ohne die ungeheuren Verluste in der Sowjetunion -, weitere 16,3 Millionen Menschen, die im Laufe des Krieges politisch oder rassistisch motivierter Gewalt zum Opfer fielen. (…) Insgesamt sind in den ersten fünf Jahren des Zweiten Weltkriegs an die 16 Millionen Menschen ‚verschoben‘ worden, eine Zahl, die von den Umsiedlungen und Vertreibungen zwischen 1944 und 1948 noch weit übertroffen wurde. (…) Die größten Bevölkerungsverschiebungen waren indes die Umsiedlungen und Vertreibungen der Deutschen aus dem östlichen Mitteleuropa nach dem Krieg. So wurden 3 Millionen Deutsche allein aus dem Sudetenland, mehr als 3,3 Millionen aus den ‚wiedergewonnenen Gebieten‘ Polens – Schlesien, Pommern, Ostpreußen, Ostbrandenburg – zuerst ‚wild‘, dann entsprechend Artikel XIII des Potsdamer Abkommens ‚auf ordnungsgemäße und humane Weise‘ ausgesiedelt und vertrieben. (…) Wenn man alle Bewegungen zwischen 1944 und 1948 zusammennimmt, dann ergibt sich im östlichen Mitteleuropa ein ungeheuer bewegtes und dramatisches Bild: an die 6 Millionen waren durch Flucht entwurzelt, rund 500.000 waren in die UDSSR deportiert worden, rund 5 Millionen Menschen waren ordnungsgemäß in die UDSSR repatriiert worden, knapp 10 Millionen waren durch vertragsmäßige Umsiedlung entwurzelt und vertrieben worden. Spontan und unorganisiert haben rund 1,7 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen. Und etwa 8,3 Millionen Menschen sind infolge von Binnenwanderung und Umsiedlung innerhalb ihrer Länder ‚verpflanzt‘ worden. Die Hauptergebnisse der beispiellosen Umwälzung waren, dass das Judentum in diesem Raum praktisch vernichtet, das Deutschtum aus diesem Raum verschwunden war – und dass die aus den Verwerfungen hervorgegangenen Staaten alle mehr oder weniger ethnisch homogene Nationalstaaten geworden waren“ (210). Karl Schlögel hebt hervor: „Die Staaten, die aus den Trümmern Vorkriegsmitteleuropas hervorgingen, waren allesamt pure Nationalstaaten, ohne wenn und aber. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte waren sie, wie es die Ethnonationalisten immer geträumt hatten, wirklich ethnisch homogen“ (211).

Auch bei diesen Vertreibungen und Deportationen am Ende des Zweiten Weltkriegs lieferte das „Modell Lausanne“ die Vorlage, worauf die Politikwissenschaftlerin Helga Hirsch in ihrem Text: „Flucht und Vertreibung. Kollektive Erinnerung im Wandel“ verweist: “Es entsprach dem Geist der Zeit, wenn die in London ansässigen Exilregierungen von Polen und Tschechen für die Zeit nach dem Sieg über Hitler-Deutschland die Aussiedlung von Deutschen aus ihren Ländern forderten. Damit verfolgten sie eine ethnische Homogenisierung, die ihnen bei der Staatsgründung 1918 nicht gelungen war: In Polen bildeten die ukrainischen, jüdischen, deutschen und weißrussischen Minderheiten bis 1939 etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung; in der Tschechoslowakei stellten die Deutschen etwa 23 Prozent. Weder Churchill noch Roosevelt waren einem ‚Bevölkerungstransfer‘ grundsätzlich abgeneigt. Der Vertrag von Lausanne bildete für sie sogar eine ‚idée fixe‘. Entsprechend sagte Churchill in seiner Unterhausrede am 15. Dezember 1944: ‚Die Vertreibung ist – soweit wir es zu überschauen vermögen – das befriedigendste und dauerhafteste Mittel. Es wird keine Mischung der Bevölkerung geben, wodurch endlose Unannehmlichkeiten entstehen wie im Fall von Elsaß-Lothringen. Es wird gründlich aufgeräumt.‘ Präsident Franklin D. Roosevelt hatte sich bereits im Frühjahr 1943 gegenüber dem britischen Außenminister Anthony Eden geäußert: ‚Wir wollen Vorkehrungen treffen, um die Preußen aus Ostpreußen auf die gleiche Weise zu entfernen, wie die Griechen nach dem letzten Krieg aus der Türkei entfernt wurden‘“ (212). Der Historiker Klaus-Dietmar Henke zeigt in seinem Text: „Der Weg nach Potsdam. Die Alliierten und die Vertreibung“ auf, daß der Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei von 1923 „Politikern und Diplomaten als ein faszinierendes Muster für die Durchführbarkeit radikaler ethnischer Entmischung“ galt: „In den politischen Verhandlungen während des Krieges wurde das historische Beispiel des griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausches geradezu zu einer fixen Idee und avancierte zum Standardargument führender Staatsmänner der Anti-Hitler-Koalition“ (213), und Henke hebt hervor, daß durch die Führungsmächte der Anti-Hitler-Koalition, insbesondere Großbritannien, „die tschechoslowakische Exilregierung fraglos entscheidend dazu ermuntert worden“ ist, „eine möglichst weitgehende Reduzierung der deutschen Minderheit in der Nachkriegstschechoslowakei anzustreben“ (214).

In seinem Buch: „Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen“ stellt der Völkerrechtler Alfred Maurice de Zayas die politischen Entscheidungen, die zu dem Plan der Vertreibungen am Ende des Zweiten Weltkriegs führten, ausführlich dar: „Der erste ernstgemeinte Vorschlag, eine große Zahl von Deutschen Ende des Krieges aus ihren Wohnorten zu verpflanzen, stammte von Dr. Eduard Benesch, dem Präsidenten der Tschechoslowakischen Exilregierung. Er enthüllte bereits im September 1941 seine Vorstellungen über seine künftige Bevölkerungspolitik mit den Worten: ‚Ich akzeptiere das Prinzip der Bevölkerungsumsiedlung … Wenn die Frage sorgfältig erwogen und rechtzeitig gründlich vorbereitet wird, kann die Übersiedlung schonend und unter angemessenen, humanen Bedingungen durchgeführt werden, und zwar unter internationaler Überwachung und mit internationaler Unterstützung.‘ Er betonte ferner, er befürworte ‚keine Methode, die mit Brutalität oder Gewalt verbunden ist‘. Von dieser ziemlich utopischen Vorstellung ausgehend, informierte der britische Außenminister Anthony Eden Benesch schon im Juli 1942, daß seine ‚Kollegen mit ihm im Prinzip der Umsiedlung übereinstimmen‘. Kurz darauf wurde Benesch der Beschluß des britischen Kabinetts übermittelt, keine Einwände gegen die Aussiedlung der Sudetendeutschen zu erheben; die sowjetische und die amerikanische Zustimmung erfolgten im Juni 1943“ (215). Diese Entscheidungen mißachteten die Grundsätze der Atlantik-Charta (216) vom 14.08. 1941, an der sich die westlichen Alliierten orientieren wollten.

So wurde das Schicksal der Sudetendeutschen ab 1945 (217) zum herausragendsten und dramatischsten Ereignis im Scheitern der Tschechoslowakei. Auch anderen Minderheiten in der Tschechoslowakei, wie z.B. den Ungarn, erging es ebenso wie den Sudetendeutschen, worauf der Kommunikationswissenschaftler und ehemalige Berliner Wissenschaftssenator Peter Glotz in seinem Buch: „Die Vertreibung. Böhmen als Lehrstück“ hinweist: „1945 wurden die Magyaren der Slowakei so behandelt wie die Deutschen im Sudetenland: Aberkennung der Staatsbürgerschaft, Ausschluß aus dem öffentlichen Dienst, Streichung des Pensionsrechts, Konfiszierung des Landbesitzes und der Immobilien. Alle magyarischen Schulen wurden aufgelöst. 50.000 magyarische Zivilisten wurden zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert, 36.000 Menschen nach Ungarn ausgewiesen“ (218). Die Zerschlagung der Tschechoslowakei erlebte am 01.01.1993 ihren vorläufig letzten Akt, und der Politikwissenschaftler Reinhold Vetter stellt in seinem Buch: „Nationalismus im Osten Europas“ fest: „So haben sich in Regionen Ostmitteleuropas, die historisch multiethnisch und multikonfessionell geprägt waren, nach 1945 weitgehend homogene Gesellschaften herausgebildet“ (219). Noch heute sind die sogenannten „Beneš-Dekrete“ (220) ebenso wie die Ergebnisse der stalinistischen Deportationen (221) in der gesamten von der Roten Armee besetzten östlichen Hälfte Europas, nicht in Frage gestellte Grundlagen sowohl der europäischen Politik als auch der Weltpolitik.

Resultat des Zweiten Weltkriegs war die bipolare Teilung Europas und der Welt im Zeitalter der Blockkonfrontation, und der Ost-West-Konflikt (222) hat an seinem Ende 1989/90 ein gespaltenes Europa hinterlassen, in dessen östlicher Hälfte stalinistische und nationalistische Politik nicht nur sämtliche deutschsprachige Personen vertrieben, deportiert und unterdrückt hat, sondern darüber hinaus nahezu vollständig sämtliche Spuren und Zeugnisse von deren Geschichte in der östlichen Hälfte Europas beseitigt und ausgelöscht hat, so, als hat es sie dort nie gegeben. Dieses Geschichtsbild der stalinistischen Propaganda und Geschichtspolitik wird in der gesamten östlichen Hälfte Europas auch heute unvermindert weiter gepflegt und niemand darf es in Frage stellen. Es ist geradezu zu einem weltweiten Common Sense geworden. Deutsche gibt es nur in ihrem ihnen von den Siegermächten zugewiesenen „Homeland“ und Reservat in Gestalt der heutigen Bundesrepublik Deutschland, und nur dort dürfen sie sich legal aufhalten und ansiedeln. Gemäß der Kollektivschuldthese sind die Vertreibungen und Ethnischen Säuberungen ab 1945 in der östlichen Hälfte Europas die gerechte Strafe für die zuvor erfolgten NS-Verbrechen, für die sämtliche Deutsche über sämtliche Generationen hinweg quasi als „transhistorisches Kollektivsubjekt“ kollektiv verantwortlich und schuldig sind, und diese Strafe wurde zum einen durch Vertreibungen und Deportationen, und zum anderen durch territoriale Amputationen vollstreckt. Der Historiker Klaus-Dietmar Henke kommentiert die Vertreibungen in seinem Text: „Der Weg nach Potsdam. Die Alliierten und die Vertreibung“: „Es war das tragische Schicksal der Vertriebenen, daß sie als Gruppe Objekt von Großmachtentscheidungen waren und zugleich als einzelne in ihrer ost- und südosteuropäischen Heimat für die menschenverachtende Politik und Kriegsführung des Deutschen Reiches persönlich haftbar gemacht wurden“ (223).

Zum Umfang der Flucht und Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa (224) nennt der Historiker Jochen Oltmer in seinem Buch: „Migration. Geschichte und Zukunft der Gegenwart“ Zahlen: „Von möglicherweise 18 Millionen Reichsdeutschen in den Ostprovinzen des Reiches und ‚Volksdeutschen‘ in den außerhalb der Reichsgrenzen gelegenen weiträumigen deutschen Siedlungsgebieten in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa waren in der Endphase des Kriegs 14 Millionen in Richtung Westen geflüchtet oder nach Kriegsende vertrieben worden. Nach den Daten der Volkszählung von 1950 waren knapp 12,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den in polnischen und sowjetischen Besitz übergegangenen ehemaligen deutschen Ostgebieten und aus den Siedlungsgebieten der ‚Volksdeutschen‘ in die Bundesrepublik und in die DDR gelangt; weitere 500.000 lebten in Österreich und anderen Ländern. (…) Wohl 500.000 Deutsche hatten Flucht, Vertreibung und Deportation nicht überlebt“ (225). Weitere Zahlenangaben macht die Politikwissenschaftlerin Helga Hirsch in ihrem Text: „Flucht und Vertreibung. Kollektive Erinnerung im Wandel“: „Insgesamt sind etwa 14 Millionen Deutsche aus dem Osten vertrieben worden; etwa zwei Millionen kamen während Flucht und Vertreibung um. Die SBZ nahm 37,2 Prozent auf (4,5 Millionen), die britische Zone 32,8, die amerikanische 28,2 und die französische 1,4 Prozent – insgesamt 7,9 Millionen Menschen. 1950 stellen die Vertriebenen in der Bundesrepublik 16,5 Prozent der Gesamtbevölkerung, bis 1961 stieg ihr Anteil aufgrund der Massenflucht aus der DDR sogar auf 21,5 Prozent. Jeder fünfte Bundesbürger war ein Flüchtling oder Vertriebener“ (226). Genaue Zahlen zu der Anzahl derjenigen, die aufgrund der Umstände von Flucht und Vertreibung ihr Leben verloren haben, gibt es offensichtlich nicht, da die in der Fachliteratur verfügbaren Angaben stark voneinander abweichen, wie die Angaben der Autoren Oltmer und Hirsch zeigen, und die im Bereich zwischen 500.000 und zwei Millionen liegen.

Eine Bilanz der Todesopfer von Flucht und Vertreibung versucht der Historiker Andreas Kossert in seinem Buch: „Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945“. Bezüglich der deutschen Bevölkerung in den deutschen Ostgebieten sowie in den deutschen Siedlungsgebieten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa zu Beginn des Zweiten Weltkrieges (Stand September 1939) listet Kossert eine Gesamtzahl von 18.267.000 Personen auf (227), und er stellt dar: „14 Millionen Vertriebene gelangten in die Besatzungszonen West- und Mitteldeutschlands, rund 2,5 Millionen Deutsche blieben in der Heimat zurück. Wieviele während Flucht und Vertreibung den Tod fanden, dazu gibt es recht unterschiedliche Angaben. In der Dokumentation ‚Vertreibung und Vertreibungsverbrechen‘ gab das Bundesarchiv 619.000 Todesopfer und weitere 2,2 Millionen ungeklärte Schicksale an. ‚Die Gleichsetzung dieser Zahlenangaben mit der Gesamtheit der Todesopfer‘ verbiete sich jedoch. Gerhard Reichling schätzt, daß die ‚Vertreibungsverluste‘ sich auf 1,44 Millionen belaufen, zu denen noch 580.000 Tote infolge von Verschleppungen in die Sowjetunion hinzukommen. Danach sind rund 2 Millionen deutsche Opfer von Flucht und Vertreibung zu beklagen. Der Historiker Rüdiger Overmanns hat diese Zahlen in einer jüngeren Untersuchung revidiert, die Bilanz insgesamt jedoch nicht in Frage gestellt. Danach lassen sich rund 500.000 deutsche Opfer nachweisen, bei weiteren 1,5 Millionen ist das Schicksal ungeklärt. Es bleiben bis zu 2 Millionen Opfer. Was mit den 1,5 Millionen Vermißten geschah, wird sich nie mehr klären lassen, da in den Wirren des Krieges und der Anarchie der ersten Nachkriegszeit niemand gezählt hat, wieviele Deutsche ermordet wurden, in den Lagern Hungers starben oder auf der Flucht umkamen“ (228).

14. Nationalismus und Gewalt in Europa am Beispiel Südost-Europa

Ethnische Säuberungen sind auch in der Gegenwart noch Realität in Europa, wie insbesondere das Beispiel des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawien (229) zeigt, und die Idee des ethnisch homogenen Nationalstaats ist auch heute weiterhin das Ideal und Leitbild der Politik. Der Nationalstaat ist heute die weltweit einzige allgemein akzeptierte Organisationsform der Menschen und überall werden sie genötigt, sich als Nationen zu organisieren. Noch immer findet auch gewaltsam „Nation Building“ statt. Vertreibungen, Ethnische Säuberungen, Terrorismus, Konflikte und Kriege sind die Folgen und werden billigend in Kauf genommen.

Südost-Europa bietet hierfür ein idealtypisches Beispiel. Die Region Südost-Europa, die auch als Balkanraum bezeichnet wird, umfaßt eine Fläche von über 960.000 km² mit rund 90 Millionen Einwohnern (230). Noch mehr als das östliche Europa ist Südost-Europa durch eine hochgradige Gemengelage der verschiedenen Sprachgruppen, Ethnien und Religionen geprägt, wie ein Blick auf eine Siedlungskarte unübersehbar erkennen läßt. Somit ist Südost-Europa die Region in Europa, die sich am wenigsten dafür eignet, dort das Modell des homogenen Nationalstaates im Zuge von „Nation Building“ durchsetzen zu wollen. Doch genau dieses wird bis heute immer wieder versucht. Daher ist heute diese Region insbesondere durch ethnonationale Konflikte bekannt. Doch noch vor 200 Jahren gab es dort weder Nationalstaaten, noch nationale Mehr- oder Minderheiten. Diese sind ein Produkt des 19. und des 20. Jahrhunderts, wie der Historiker Holm Sundhausen in seinem Text: „Staatsbildung und ethnisch-nationale Gegensätze in Südosteuropa“ erklärt: „Wie in anderen europäischen Regionen, so hat sich auch in Teilen des Balkanraums die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung im Laufe des 20. Jahrhunderts infolge von Flucht und Auswanderung einerseits sowie Vertreibung, Umsiedlung und Massenmord andererseits grundlegend verändert. Mit der Bildung von Nationen als imaginierten Abstammungs- bzw. Blutsgemeinschaften sowie der Durchsetzung des Nationalstaatsprinzips bzw. des Rechts auf nationale Selbstbestimmung in einer Region, die durch extreme ethnische Gemengelagen geprägt war, setzte ein säkularer Prozess mehr oder minder gewaltsamer Abgrenzungen und Bevölkerungsverschiebungen ein“ (231). Holm Sundhausen hebt hervor, daß mit jeder neuen Staatsbildung und Grenzveränderung die Zahl der Minderheiten zunahm: „Staats-, Nations- und Minderheitenbildung sowie Ethnozid (…) bedingten sich wechselseitig“ sodaß im „Balkanraum im vergangenen Jahrhundert über zehn Millionen Menschen Opfer unfreiwilliger Migration geworden“ sind (232). Dieser Prozeß wird „Balkanisierung“ genannt.

In Südost-Europa erreichten die ethnonational bedingten Flüchtlingsströme und Vertreibungen sowie andere Formen „ethnographischer Flurbereinigungen“, wie Deportationen, Ethnische Säuberungen und Genozide ihren Höhepunkt in drei Kriegsperioden des 20. Jahrhunderts:

1. Der Kriegsperiode in den Jahren 1912 bis 1923 mit den Balkankriegen (233) der Jahre 1912 und 1913, und dem griechisch-türkischen Krieg (234), der sich in den Jahren 1919 bis 1922 nach der Auflösung des Osmanischen Reiches (235) ereignete, und der mit dem erwähnten Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei endete, der während der Konferenz von Lausanne am 30.01.1923 vereinbart worden war, und der Bestandteil des Vertrags von Lausanne vom 24.07.1923 war, und der als „Modell Lausanne“ in der internationalen Politik zum Präzedenzfall für nachfolgende Vertreibungen im extremen 20. Jahrhundert wurde.

2. Während des Zweiten Weltkriegs.

3. Den vier Jugoslawienkriegen (236): Dem 10-Tage-Krieg, dem Kroatienkrieg, dem Bosnienkrieg und dem Kosovokrieg, die sich in den Jahren von 1991 bis 1999 ereigneten.

Der Historiker Karl Schlögel zeigt in seinem Text: „Bugwelle des Krieges“ auf, daß mit dem Krieg in Jugoslawien in den 90er Jahren die Bilder zurückgekehrt sind, die man in Europa längst vergessen hatte: „Wiedergekehrt war mit einem Mal auch das Vokabular, das in Europa seit den unmittelbaren Nachkriegsjahren nicht mehr in Gebrauch gewesen war. Es gab wieder Lager in unendlich vielen Varianten – Sammel-, Filtrations-, Durchgangs- und Auffanglager. Europa wimmelte plötzlich wieder von einer Spezies, von der man geglaubt hatte, sie sei ausgestorben oder komme nur noch in weit entlegenen und exotischen Weltgegenden vor: Flüchtlinge, Vertriebene, Displaced Persons. Das 20. Jahrhundert, das eben dabei war, sich zu verabschieden, hatte sich noch einmal zu erkennen gegeben als das ‚Jahrhundert der Flüchtlinge‘, der gewaltsamen Bevölkerungsverschiebungen und der ethnischen Säuberungen“ (237).

Derzeit entstehen mit Programmen von „Nation Building“ insbesondere in Südost-Europa eine Vielzahl von Kleinststaaten, die sich wie „echte“ Nationalstaaten gebärden sollen, mit allen dazugehörigen Attributen, einschließlich „säbelschwingender Reiterstandbilder“ in den Hauptstädten. Im heutigen internationalen System ist das Konzept von Kleinstaaten nach Auffassung des Historikers Eric J. Hobsbawm in seinem Buch: „Nationen und Nationalismus“ jedoch sinnlos: „Gegen die Kleinstaaterei heute, zumindest in ihrer ethnisch-sprachlichen Form, spricht jedoch nicht nur, daß sie keine Lösung für die aktuellen Tagesprobleme bereithält, sondern auch, daß sie diese noch erschwert, sofern die betreffende Bewegung die Macht hat, ihr politisches Programm auch in die Praxis umzusetzen. Kulturelle Freiheit und Pluralismus sind gegenwärtig zweifellos besser gewährleistet in größeren Staaten, die sich dessen bewußt sind, daß sie Vielvölkerstaaten sind, in denen viele Kulturen nebeneinander bestehen, als in kleinen, die das Ideal einer ethnisch-sprachlichen und kulturellen Homogenität anstreben“ (238). Der Historiker Hans-Ulrich Wehler hebt in seinem Buch: „Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen“ hervor: „Die uneingeschränkte Garantie aller Grundrechte, dazu der regionalen und kulturellen Autonomie in einem föderalistischen Staatensystem sollte endlich eine höhere Priorität genießen als das im Zeitalter der Globalisierung ohnehin verblassende Ideal des souveränen Nationalstaats. Die Gewährleistung dieser Rechte würde den Menschen jenes ersehnte Maß an Autonomie verschaffen, das ursprünglich vom Hoffnungsziel des Selbstbestimmungsrechts der Völker verkörpert wurde“ (239).

Eine solche Auffassung vertritt auch der Philosoph Jürgen Habermas in seinem Text: „Vom Sinn und Unsinn nationaler Selbstbestimmung“: „Die Forderung nach Selbstbestimmung kann unmittelbar nur die Durchsetzung gleicher Bürgerrechte zum Inhalt haben. (…) Eine Sezessionsforderung ist erst dann berechtigt, wenn die zentrale Staatsgewalt einem Teil der Bevölkerung (…) seine Rechte vorenthält. (…) Solange nämlich alle Bürger gleiche Rechte genießen und niemand diskriminiert wird, besteht kein normativ überzeugender Grund zur Separierung vom bestehenden Gemeinwesen. Unter dieser Voraussetzung kann nämlich von Repression und ‚Fremdherrschaft‘, die Minderheiten das Recht zur Sezession gäben, nicht die Rede sein. Dem entspricht auch die Beschlußlage der UN-Generalversammlung, die in Übereinstimmung mit der UN-Charta zwar allen Völkern ein Recht auf Selbstbestimmung garantiert, aber ohne den Begriff ‚Volk‘ im ethnischen Sinne festzulegen. Ausdrücklich verneint wird ein Sezessionsrecht“ (240). Bezüglich der UN-Charta führen dies die Völkerrechtler Alfred Verdross und Bruno Simma in ihrem Buch: „Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis“ näher aus: „Hingegen wird ein Sezessionsrecht, also ein Anspruch auf Losreißung von solchen Staaten, die sich in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Völker verhalten, und daher eine das ganze Volk vertretende Regierung, ohne Diskriminierung von Rasse, Glaube und Farbe besitzen, ausdrücklich verneint“ (241). Zur Vermeidung von Diskriminierungen stellt Habermas das Konzept einer „differenzempfindlichen Inklusion“ vor: „Im allgemeinen kann Diskriminierung nicht durch nationale Unabhängigkeit, sondern nur durch eine Inklusion abgeschafft werden, die für den kulturellen Hintergrund individueller und gruppenspezifischer Unterschiede hinreichend sensibel ist“, und Habermas führt „verschiedene Wege zum prekären Ziel einer ‚differenzempfindlichen‘ Inklusion“ auf: „die föderalistische Gewaltenteilung, eine funktional spezifizierte Übertragung bzw. Dezentralisierung von staatlichen Kompetenzen, vor allem die Gewährung kultureller Autonomie, gruppenspezifische Rechte, Politiken der Gleichstellung und andere Arrangements für einen effektiven Minderheitenschutz“ (242).

15. Nationalismus und Gewalt außerhalb Europas am Beispiel Südamerika und Südasien

Die Idee der Nation und des Nationalstaats ist die wirkmächtigste Idee, die jemals von Europa ausgegangen ist, und sie ist heute in der gesamten Welt alternativlos. Die in Europa entstandene Idee des Nationalismus hat sich in mehreren großen Wellen über die gesamte Welt ausgebreitet. Die Idee der Nation und des Nationalstaats verbreitete sich erstmals in größerem Umfang über ihren Ursprung in Europa hinaus im Zuge der ersten Welle der Dekolonisation (243) im 19. Jahrhundert, insbesondere in Folge der Auflösung des spanischen Kolonialimperiums in Mittel- und Südamerika, dann nach dem Ersten Weltkrieg in der östlichen Hälfte Europas, und nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr die Idee der Nation und des Nationalstaats im Zuge der zweiten Welle der Dekolonisation in Asien und Afrika ihre heutige weltweite Verbreitung und alternativlose Durchsetzung. In seinem Buch: „Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen“ stellt der Historiker Hans-Ulrich Wehler die Frage: „Warum wurde der Nationalismus zu einem derart attraktiven Exportartikel, obwohl in den Empfängerländern völlig andersartige soziokulturelle und politische Bedingungen vorherrschten?“ (244) und er führt weiter aus: „Ein voller Erfolg war diesen antikolonialistischen Emanzipationsbewegungen (…) nach dem Zweiten Weltkrieg beschieden, als der massive Druck der USA zugunsten der Auflösung aller westlichen Kolonialreiche im Verein mit der Sprengwirkung militanter innerkolonialer Guerilla- und Befreiungsbewegungen die Ära einer weltumspannenden Dekolonisierung einleitete. Damit verbunden war eine neue Welle des Transfernationalismus. Denn alle diese überstürzt in eine gefährdete Mündigkeit entlassenen Kolonialgebiete wollten dem Vorbild des westlichen Nationalstaats nacheifern. Hatten ihn die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg zur Norm für die gesamte europäische Staatenwelt erklärt, wurde er jetzt für geraume Zeit zur global verbindlichen politischen Einheit erhoben“ (245).

Wesentliche Vorbedingungen für die Übernahme der nationalstaatlichen Ordnungsidee hat das Schulwesen in den Kolonien und die Ausbildung einheimischer Führungskräfte an europäischen Universitäten geschaffen. Diese Schüler lernten die imaginierte Gemeinschaft ihrer Kolonie als vorstellbare Einheit kennen und sie absorbierten die Modernität des Westens einschließlich des Nationalismus und des Nationalstaats. Der Historiker Hans-Ulrich Wehler kommentiert diese Entwicklung: „Wenn sich die jungen Experten nach der Rückkehr in ihre Heimatkolonie einer antikolonialistischen Emanzipationsbewegung anschlossen, war aufgrund ihrer Lebensgeschichte die Entscheidung über das Ziel schon gefallen: Indien, Vietnam, Marokko, Indonesien – sie alle sollten zu souveränen Nationalstaaten, ihre Bevölkerung zur Nation gemacht werden. Welche Erfahrung, welcher Wissensbestand hätte ihnen auch eine überlegene Alternative nahe legen können? Als in den 1940er/50er Jahren die Stunde der Unabhängigkeit schlug, trafen alle Führungspersönlichkeiten der Gründungsphase die Entscheidung für die Nation und den Nationalstaat (…). Denn unter Berufung auf eine fiktive, imaginierte ‚Nation‘ war der Kampf um die Dekolonisation geführt worden, und der Wille der Nation sollte jetzt zur Legitimation des postkolonialen Herrschaftssystems dienen. (…) Mit der Schul- und Sprachenpolitik, der Indienstnahme glorreicher Traditionen, Rituale und Symbole, aber auch mit autoritärem Zugriff und mit Gewalt wurde der Weg zur Nation eingeschlagen – ein Leidensweg mit unzähligen Opfern bis heute. Wie in den soziokulturell-ethnischen Mischsiedlungen Ost- und Südosteuropas erwies sich der Import der Nationsidee und ihres Nationalstaats als ein Debakel. (…) Wiederum tauchte das Grunddilemma auf, dass sich keine attraktive Alternative zur Politik der Nationsbildung erkennen ließ“ (246).

Die Übertragung der Idee des modernen Nationalismus und des Nationalstaats aus Europa auf Gesellschaften mit anderen Strukturen und anderen historischen Entwicklungen und Traditionen trieb zum Teil skurrile und absurde Stilblüten. Zwei Beispiele, Südamerika und Südasien, werden im Folgenden vorgestellt. Die Idee des Nationalismus entwickelte dort eine Eigendynamik völlig losgelöst von ihrem Entstehungskontext in Europa, doch mit nicht weniger gewaltsamen Folgen.

Im spanischen Kolonialimperium (247) war in Mittel- und Südamerika durch die europäische Einwanderung und deren weitgehender Vermischung mit der einheimischen Bevölkerung eine zu großen Teilen sprachlich und kulturell homogene Gesamtbevölkerung entstanden. Im Zuge der Unabhängigkeitsbestrebungen vor rund 200 Jahren entstanden als Zerfallsprodukte des spanischen Kolonialimperiums eine Vielzahl neuer Staaten. Ohne daß es in diesen neuen Staaten im europäischen Sinne unterscheidbare „Nationen“ gab, denn alles war bislang mehr oder weniger eine Einheit gewesen, übernahmen diese neu entstandenen Staaten die europäische Idee des Nationalismus, und fortan grenzten sie sich als „Nationalstaaten“ gegeneinander ab und begannen miteinander zu konkurrieren, ganz so wie ihre Vorbilder, die Nationalstaaten in Europa. So kann man diese als konstruierte und behauptete Schein-Nationen mit konstruierten und behaupteten Schein-Nationalstaaten bezeichnen, die sich aber dennoch wie „echte“ Nationalstaaten gebärdeten und aufführten, mit allem, was üblicherweise dazu gehört, wie z.B. das gegeneinander Krieg führen, dies aber nun im Stil der neuen Zeit mit allgemeiner Wehrpflicht und totaler Mobilmachung der mobilisierten Nation. So führten diese quasi aus dem „Nichts“ entstandenen neuen „Nationalstaaten“ in Südamerika zahlreiche Kriege untereinander um den Besitz von Territorien und die Kontrolle von Rohstoffvorkommen. Unter diesen Kriegen ragt der sogenannte „Dreibund-Krieg“ (Triple-Allianz-Krieg) (248) der Jahre 1864 bis 1870 heraus, der als der erste moderne totale Krieg bezeichnet werden kann, da dieser von allen Kontrahenten bis zur Konsequenz der Vernichtung des größten Teils der Bevölkerung von Paraguay geführt worden ist.

Der Historiker Hans-Ulrich Wehler erklärt in seinem Buch: „Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen“ die Besonderheiten der Entwicklung des Nationalismus in Südamerika: „In Südamerika hatten sich zwar vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts keine genuinen Ethnien (…), sondern streng hierarchisch stratifizierte Kolonialgesellschaften mit einer hauchdünnen weißen Oberklasse und einer erdrückenden Mehrheit von Mestizen und Mulatten, von indianischen Eingeborenen und importierten Sklaven herausgebildet. Doch war im Verlauf von zweieinhalb Jahrhunderten in den – im Grunde willkürlich-zufällig zurechtgeschnittenen – kolonialen Verwaltungsprovinzen unter den Oberschichten ein Eigenbewußtsein entstanden. In den Unabhängigkeitskriegen der spanischen und portugiesischen Überseereiche, gegen deren Abfall die iberischen Metropolen nicht mehr kraftvoll intervenieren konnten, erwies sich dann diese Orientierung an den etablierten Verwaltungseinheiten imstande, die Energien zu kanalisieren und der Planung künftiger souveräner Republiken akzeptable Landesgrenzen zu setzen. Alle südamerikanischen ‚Nationalstaaten‘ – bis auf das von den USA geschaffene Kunstprodukt Panama – sind schließlich aus den Kolonialprovinzen hervorgegangen. Als ihr Dauerproblem erwies sich der Umstand, dass sich zwar die kreolische Oberklasse als Nation zu definieren vermochte, ein traditionsgefestigter ethnischer Unterbau ihr jedoch fehlte. Daraus resultierte eine außerordentlich gefährliche Labilität des politischen Herrschaftssystems, da ihm die stabilisierende Vergangenheit einer seit langem ausgebildeten Ethnie fehlte. Aus diesem fatalen Strukturfehler und aus der Sprengkraft der multikulturellen Heterogenität resultierte eine schier endlose Abfolge von erfolgreichen Staatsstreichen, erfolglosen Coups, Diktatorial- und Caudilloregimes, welche die verhießene, faktisch aber fehlende Homogenität der Nation mit autoritären Mitteln herzustellen versuchten“ (249).

Eine Besonderheit der Dekolonisation in Mittel- und Südamerika im 19. Jahrhundert ist, daß beim Prozeß des „Nation Building“ die indigene Bevölkerung (250) keinerlei Berücksichtigung fand. So sind bis heute in ganz Mittel- und Südamerika die Sprachen der ehemaligen Kolonialmächte, Spanisch und Portugiesisch die offiziellen Landes- und Verkehrssprachen, und die Sprachen der indigenen Bevölkerung sind auch heute noch weiterhin marginalisiert, womit sich auch in dieser Hinsicht die kolonialzeitlichen Strukturen bis in die Gegenwart fortsetzen. Hierbei bildet Paraguay eine Ausnahme, denn in Paraguay gibt es zwei offiziell anerkannte Landessprachen: Neben Spanisch ist dies die indigene Sprache Guarani. 77 % der Bevölkerung Paraguays spricht Guarani, und 64 % der Bevölkerung Paraguays ist bilingual und beherrscht beide Sprachen, Guarani und Spanisch. Doch die Bedeutung von Guarani ist rückläufig: 1982 sprachen noch 90 % der Bevölkerung Paraguays Guarani. Mittlerweile lassen sich in Südamerika bezüglich der Wahrung der kulturellen Rechte der indigenen Bevölkerung und ihrer Gleichberechtigung erste praktische Ansätze eines Umdenkens erkennen: Zum Beispiel wurden im Jahre 1997 in Bolivien 34 indigene Sprachen zu offiziellen Landessprachen erklärt, und seit 2009 versteht sich Bolivien als ein „plurinationaler Staat“.

Auch im Zuge der zweiten Welle der Dekolonisation im 20. Jahrhundert wurde die Idee des Nationalismus und des Nationalstaats ausgeweitet und insbesondere von „Nationalen Befreiungsbewegungen“ aufgegriffen und umgesetzt, oft mit ähnlichen Folgen wie in Europa, wie das Beispiel der Teilung (Partition) Indiens (251) zeigt. Aufgrund der sowohl in Südasien, als auch in Europa großen kulturellen und sprachlichen Vielfalt bietet sich ein Vergleich Europas mit Südasien an. In Südasien leben 25 % der Weltbevölkerung, und allein in Indien leben über 1,3 Milliarden Menschen. Der Vergleich als wissenschaftliche Methode nimmt sowohl in der Geografie, wo diese Methode insbesondere durch Alexander von Humboldt (1769-1859) eingeführt wurde, als auch in den Geschichtswissenschaften die Rolle ein, der in den Naturwissenschaften der Methode des Experiments zukommt, und die Historikerin Margit Pernau erklärt in ihrem Buch „Transnationale Geschichte“ die Rolle und Bedeutung der Komparatistik in der Geschichtswissenschaft: „Vergleich bedeutet in der Geschichte die systematische Diskussion von zwei oder mehr Fällen mit dem Ziel, ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede deutlicher erfassen zu können. Häufig handelt es sich dabei um Fallbeispiele aus unterschiedlichen Ländern, doch sind auch Vergleiche unterhalb wie oberhalb der nationalen Ebene möglich – etwa zwischen Städten oder zwischen Kulturen. (…) Nicht mehr die Frage nach dem ‚Wie‘ historischer Abläufe, sondern nach ihrem ‚Warum‘ sollte fortan im Zentrum der Forschung stehen. Der Königsweg dorthin führte über den Vergleich“ (252).

Durch einen Vergleich erschließen lassen sich die das extreme 20. Jahrhundert prägenden ethnischen Säuberungen. Von den sich ab 1945 in der östlichen Hälfte Europas ereigneten ethnischen Säuberungen waren, wie in Kapitel 13: „Nationalismus und Gewalt in Europa am Beispiel Österreich-Ungarn“ aufgeführt, ca. 31 Mio. Menschen betroffen, darunter als größte Gruppe ca. 14 Mio. deutschsprachige Personen, von denen dabei rund 2 Mio. ums Leben kamen, und diese Vertreibungen können als die erfolgreichste und nachhaltigste ethnische Säuberung in der Menschheitsgeschichte angesehen werden. Lediglich die infolge der gesellschaftspolitischen Verwerfungen im Zuge des zu überstürzt erfolgten Prozesses der Dekolonisation und staatlichen Unabhängigkeit in Südasien ab dem 15.08.1947 annähernd zeitgleich stattfindenden ethnischen Säuberungen, Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen mit ca. 18 Mio. Vertriebenen und ca. 1 Mio. Toten (nach Angaben des Partition-Museums in Amritsar bei meinem dortigen Besuch am 19.11.2019) erreichen annähernd eine vergleichbare Dimension.

Im Unterschied zu den nahezu zeitgleich stattfindenden Vertreibungen und ethnischen Säuberungen in der östlichen Hälfte Europas, bei denen die gesellschaftlichen Spaltungslinien nach ethnonationalen Kriterien verliefen, erfolgten diese in Südasien ab 1947 hingegen nach religiösen und konfessionellen Kriterien, die in Europa vor dem Zeitalter des modernen Nationalismus eine Rolle gespielt hatten, z.B. während des Dreißigjährigen Krieges. In Südasien verliefen die ethnischen Säuberungen nach einem eigenartigen Modell gemäß der „Theorie der zwei Nationen“ (253), nach der die Mitglieder der beiden großen Religionen, der Hindus und der Moslems, unterschiedliche „Nationen“ darstellen und bilden würden und denen jeweils nicht zugemutet werden könne, gemeinsam in einem Staat zusammen leben zu müssen. Die Einteilung und Unterscheidung der Bevölkerung in Südasien in Hindus und Moslems ist jedoch ein Produkt der britischen Kolonialzeit (254), denn aufgrund der in Südasien stark ausgeprägten synkretistischen Glaubensformen waren die Grenzen zwischen den Religionsgemeinschaften oft fließend. Die Religionen wurden im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmend zur Verfolgung von parteipolitischen Zielen instrumentalisiert, was der Historiker Michael Mann in seinem Buch: „Geschichte Südasiens 1500 bis heute“ darstellt: „Dass dies überhaupt möglich war, hing mit der britischen Wahrnehmung der südasiatischen Gesellschaften zusammen, die davon ausgingen, dass deren maßgebliches Unterscheidungsmerkmal die Religionen seien. Nirgends sollte sich das deutlicher niederschlagen als in den Volkszählungen, die ab 1871 alle zehn Jahre durchgeführt wurden. In ihrem Verlauf hatten sich die indischen Untertanen einer Religionsgemeinschaft zuzuordnen. (…) Doch selbst der Hinduismus ist ein europäisches Konstrukt, mit dem schon die Portugiesen diejenigen Glaubensgemeinschaften, die nicht muslimisch, christlich, jüdisch und buddhistisch waren (…) unter diesem Begriff subsumierten“ (255). Der Begriff „Hinduismus“ (256) ist somit ein Sammelbegriff, unter den die britische Kolonialmacht die unübersichtliche Vielzahl der polytheistischen Religionen und Kulte Südasiens in ihren Statistiken zusammenfaßte. In seinem Buch: „Indien. Ein Länderportrait“ stellt der Linguist und Ethnologe Bernhard Imhasly dar, daß der Begriff „Hinduismus“ ein „behelfsmäßiges Konstrukt aus dem 19. Jahrhundert“ ist: „Er wurde, wie „Hindu“ und „Hindustan“, vom griechischen Historiker Herodot übernommen, der damit im 5. Jahrhundert vor Christus die Völker jenseits des Indus-Stroms bezeichnet hat“ (257).

Südasien ist durch Regionalisierung geprägt, und erst mit der britischen Kolonialherrschaft entstand eine einheitliche politische Herrschaft und staatliche Organisation. Der Linguist und Ethnologe Bernhard Imhasly hebt hervor: „Nichts zeigt das Fehlen zentraler politischer Gewalt so deutlich wie die Vielfalt der Sprachen. (…) 1579 Sprachen und über 5000 Dialekte sind gemäß der Volkszählung von 2001 erkannt und anerkannt (258). Aufgrund dieser großen kulturellen und sprachlichen Vielfalt in Südasien besteht dort ein kaum abschätzbares Destruktionspotential, sollte zukünftig die Idee des Nationalismus dort weitere Verbreitung und Radikalisierung erlangen. Die Pogrome und Ethnischen Säuberungen ab 1947 haben die Gefahr einer „Balkanisierung“ des gesamten Subkontinents entlang religiöser, ethnischer und sprachlicher Abgrenzungen verdeutlicht. Der Politikwissenschaftler Pierre Gottschlich zeigt in seinem Text: „Hindu-Nationalismus. Indien auf dem Weg in einen Hindu-Staat?“ auf, daß gegenwärtig ein radikaler und intoleranter, an einem europäischen Nationalitätsverständnis orientierter Hindu-Nationalismus (259) in Südasien zunimmt, dessen Ursprünge auf die britische Kolonialzeit zurückgeht und der mit einer „Politik der Angst“ und der Konstruktion eines bedrohlichen „Anderen“ als Instrumenten zur politischen Mobilisierung politische Erfolge erzielt (260).

Bezüglich des globalen Transfers der Idee der Nation und des Nationalstaats zieht der Historiker Hans-Ulrich Wehler in seinem Buch: „Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen“ Bilanz: „Die Grundtatsache in allen Empfängerländern des Transfernationalismus nach 1945 bleibt jedoch bestehen: Können derart extrem multiethnische und polyzentrische Neustaaten zu Nationen homogenisiert und zu Nationalstaaten ausgebaut werden, ohne eine abschreckende Opferbilanz zu erzeugen, welche die Unangemessenheit dieses Transfers unterstreicht? (…) Wer das Scheitern des homogenen Nationalstaats im Osten der nationalistischen Kernländer für eine bedauernswerte Ausnahme gehalten hatte, wurde durch die exakt analoge Entwicklung in Afrika, auf dem indischen Subkontinent, in Südostasien und Ozeanien eines Besseren belehrt. Offenbar ist der Nationalismus mit seiner Staatsidee auf multiethnische, polizentristische Verbände ohne gefestigte Staatstraditionen nicht übertragbar“ (261).

16. Alternativlose Affirmation des Bestehenden durch Geschichtspolitik

Geschichte (262) bezeichnet im weiten Sinne Ablauf und Zusammenhang alles an Zeit und Raum gebundenen Geschehens: Erdgeschichte, Naturgeschichte, Menschheitsgeschichte, im engeren Sinne das politisch-soziale Beziehungsgeflecht zwischen den Menschen in allen seinen zeitlichen Bezügen, d.h. in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Geschichte ist ihrem Wesen nach zugleich der Prozeß ihrer bewußten Aneignung durch den Menschen, durch den Geschichtsbewußtsein (263) entsteht. Geschichtsbewußtsein bildet sich insbesondere, wenn herausfordernde Zeiterfahrungen, wie z.B. Krisen, im Medium der Erinnerung an die Vergangenheit gedeutet werden. Die Brockhaus Enzyklopädie erklärt: „Das Geschichtsbewußtsein bindet die Erfahrung der Gegenwart zurück an die Erfahrung der Vergangenheit und verschmilzt beide in der Vorstellung eines sinnvollen Zeitverlaufs, der sich in die Zukunft erstreckt. Mit der Deutung der Gegenwart über die Erfahrung der Vergangenheit wird somit zugleich eine handlungsleitende Zukunftsperspektive entworfen. Bewußtsein von Geschichte ist also mehr und anders als Bewußtsein von der Vergangenheit; es ist Bewußtsein eines durch produktive Deutung von Zeiterfahrungen erbrachten Zusammenhangs von Erinnerung an die Vergangenheit, Verstehen der Gegenwart und Erwartung der Zukunft. Es wird geprägt durch Zeitverlaufsvorstellungen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft übergreifen. Geschichtsbewußtsein äußert sich in Geschichten. Durch Geschichten verständigen sich Menschen darüber, wer sie sind. Sie ordnen sich durch Geschichten in den zeitlichen Verlauf der Welt ein (…). Menschen können nur handeln, wenn sie eine tragfähige, d.h. praktisch lebbare Vorstellung von sich selber in zeitlicher Perspektive haben“ (264).

Viele Historiker stellen einen Mangel an Geschichtsbewußtsein fest, so auch der Historiker Eric Hobsbawm in seinem Buch: „Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts“: „Die Zerstörung der Vergangenheit, oder vielmehr die jenes sozialen Mechanismus, der die Gegenwartserfahrung mit denjenigen früherer Generationen verknüpft, ist eines der charakteristischen und unheimlichsten Phänomene des späten 20. Jahrhunderts. Die meisten jungen Menschen am Ende dieses Jahrhunderts wachsen in einer Art permanenter Gegenwart auf, der jegliche organische Verbindung zur Vergangenheit ihrer eigenen Lebenszeit fehlt. Das läßt Historiker – deren Aufgabe es ist, in Erinnerung zu rufen, was andere vergessen haben – am Ende des zweiten Jahrtausends noch wichtiger werden als je zuvor“ (265).

Nach Auffassung des Historikers Theodor Schieder in seinem Text: „Geschichtsinteresse und Geschichtsbewußtsein heute“ meint Geschichtsbewußtsein „die ständige Gegenwärtigkeit des Wissens, daß der Mensch und alle von ihm geschaffenen Einrichtungen und Formen seines Zusammenlebens in der Zeit exisitieren, also eine Herkunft und Zukunft haben, daß sie nichts darstellen, was stabil, unveränderlich und ohne Voraussetzungen ist, mag die Gegenwart durch ihren massiven Anspruch auf Totalität, auf die Voraussetzungslosigkeit ihrer Wert- und Zielvorstellungen für den in ihr lebenden Zeitgenossen oft dieses Bewußtsein verdrängen. Geschichtsbewußtsein beruht auf der einen Seite auf dem Bewußtsein der Endlichkeit des jeweils Gegenwärtigen und auf der anderen Seite auf dem Bewußtsein einer über die Gegenwart hinausreichenden Unendlichkeit. (…) Der Mensch wird primär zum Nachdenken über Geschichte angeregt oder in seinem Geschichtsbewußtsein bestimmt durch die Erfahrung, daß alles Geschehen dem Wandel in der Zeit unterworfen ist“, und Schieder verweist darauf, daß sich unser Geschichtsbewußtsein an unserem besonderen Lebenskreis orientiert und wir ihm einen bestimmten Träger zuordnen: „Allerdings: Träger kann auch die Menschheit werden, wenn sie auch für viele heute noch eine abstrakte Allgemeinheit darstellt. Aber je deutlicher es zum Bewußtsein kommen wird, daß die Weltgeschichte der Menschheit für uns nicht ein spekulatives Ziel darstellt, auf das die geschehene Geschichte ausgerichtet wird, sondern daß sie eine gegenwärtige Erfahrung ist, die nach Bestätigung durch Geschichte ruft, wird die Menschheit zum Träger eines menschheitlichen Geschichtsbewußtseins werden können“ ( 266).

Das individuelle Geschichtsbewußtsein findet somit in der kollektiven Geschichtskultur (267) als Bestandteil eines kollektiven Gedächtnisses (268) seine Entsprechung. Das Ergebnis von Geschichtsbewußtsein ist ein Geschichtsbild (269). Das Geschichtsbild umfaßt, wie die Brockhaus Enzyklopädie erklärt, „die Gesamtheit vorwissenschaftlich oder wissenschaftlich begründeter Vorstellungen, die das Geschichtsbewußtsein eines Menschen, einer Gruppe, eines Volkes oder einer Nation bestimmen; im Wechselspiel mit dem Gegenwartsbewußtsein entstanden, ist es selbst Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses. Das Geschichtsbild des Einzelnen erweist den historischen Standort seines Urteilens und Handelns, das Geschichtsbild von Gruppen, Völkern oder Nationen die Motivation ihrer Zielsetzungen“ (270). Das Geschichtsbild ist Bestandteil des Weltbildes eines Menschen. Weltbilder bieten ein Erklärungsmodell, wie die Welt als Ganzes aufgebaut ist. Weltbilder bilden in Verbindung mit Menschenbildern (271) sowie mit Wert-, Lebens- und Moralauffassungen eine Weltanschauung (272). Die Biologin Lynn Margulis weist in ihrem Buch: „Der symbiotische Planet oder wie die Evolution wirklich verlief“ auf die Bedeutung unseres Weltbildes hin: „Unser Weltbild prägt das, was wir sehen, und die Art und Weise, wie wir etwas lernen. Jede Idee, die wir als Tatsache oder Wahrheit akzeptieren, ist in ein umfassendes Denkgebäude eingebettet, dessen wir uns in der Regel nicht bewusst sind“ (273).

In der Geschichte lösten mehrere Weltbilder einander ab. Im babylonischen Weltbild war die Erde eine flache Scheibe (274). Im geozentrischen bzw. ptolemäischen Weltbild (275) der griechischen Antike hat die Erde Kugelgestalt und sie steht im Zentrum der Welt. Im Zuge der kopernikanischen Wende setzte sich in der frühen Neuzeit das heliozentrische bzw. kopernikanische Weltbild (276) durch. Doch noch heute sind ca. 25 % der Menschen in Europa der Meinung, daß „sich die Sonne um die Erde drehe“ (277). Die Ablösung von Weltbildern ist ein Beispiel für Paradigmenwechsel (278). In seinem Buch: „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ (279) stellt der Physiker und Wissenschaftsphilosoph Thomas S. Kuhn (1922 - 1996) die These auf, daß sich Fortschritt in der Wissenschaft nicht durch kontinuierliche Veränderungen vollzieht, sondern durch revolutionäre Prozesse im Zuge eines „Paradigmenwechsels“, bei dem ein bisher geltendes Erklärungsmodell verworfen und durch ein anderes ersetzt wird. In der kritischen Form des Geschichtsbewußtseins geht es darum, vorherrschende historische Deutungsmuster zu überprüfen und zu hinterfragen, um Raum für neue neue Perspektiven zu schaffen und Paradigmenwechsel zu ermöglichen. Das kritische Geschichtsbewußtsein dient somit als Medium des Übergangs von einer typischen Ausprägung des Geschichtsbewußtseins zu einer anderen.

Kritisches Geschichtsbewußtsein ist erforderlich, denn noch immer ist das Denken und Handeln der meisten Menschen geprägt von unhinterfragten, doch fragwürdigen Weltbildern, von ebenso antiqiierten wie defizitären Ansichten über die Natur, von überholten Vorstellungen über die „Natur“ des Menschen und von vorurteilsbelasteten Menschenbildern, sowie antiqiierten wie defizitären Ansichten über die menschliche Gesellschaft und frei erfundenen Annahmen von einem „Naturzustand“ der menschlichen Gesellschaft (280). Deren permanente Reflektion und Überprüfung steht im Zentrum politischer Bildung, was der Politologe Ernst Fraenkel (1898-1975) hervorhebt: „Politische Bildung ist unvollkommen, wenn sie sich nicht darüber Rechenschaft ablegt, von welchem Bild des Menschen unser politisches Denken geprägt ist, das heißt aber, zu welcher politischen Anthropologie wir uns bekennen“ (281). Doch noch heute sind frei erfundene Annahmen über die „menschliche Natur“ und den „Naturzustand“ der Gesellschaft nicht in Frage gestellte Grundlagen der Gesellschaftswissenschaften, aber interdisziplinäre historisch-anthropologische Forschungen können zur Aufklärung beitragen. Nach Auffassung des Historikers Theodor Schieder in seinem Text: „Geschichtsinteresse und Geschichtsbewußtsein heute“ bleibt Geschichte „ein unentbehrlicher Bestandteil politischer Bildung (…), wenn man in ihr einen Beitrag zur Anthropologie sieht, in dem die Anstrengungen aller Wissenschaften vom Menschen aufzunehmen sind, das heißt Sozialwissenschaft, Psychologie, Biologie, Medizin u.a. Aus dem modernen Bewußtsein müssen Kräfte wachsen, die dazu beitragen, die Geschichte als eine notwendige Voraussetzung der menschlichen Existenz verstehen zu lernen“ (282). Das gemeinsame Erkenntnisinteresse (283) des interdisziplinären Projekts der modernen Anthropologie (284), bei dem die Anthropologie die Funktion einer Integrationswissenschaft hat, orientiert sich an der kant‘schen Frage „Was ist der Mensch?“. Rechenschaft, wie es Ernst Fraenkel fordert, müssen wir uns also nicht nur über unser Menschenbild ablegen, sondern ebenso über unsere Weltanschauungen, Weltbilder und Geschichtsbilder.

Die Relevanz von Geschichte ergibt sich aus der für die Menschen unausweichlichen Gegenwärtigkeit des Vergangenen, wie der vorliegende Text verdeutlicht hat: Das heutige Europa nach dem extremen 20. Jahrhundert ist weitgehend ethnisch gesäubert und besteht aus homogenisierten Nationalstaaten mit gleichgeschalteter und vereinheitlichter Nationalkultur. Der Historiker Lutz Raphael analysiert in seinem Buch „Imperiale Gewalt und mobilisierte Nation. Europa 1914-1945“ den historischen Kontext: „erst die Vertreibungen und Völkermorde des Zweiten Weltkrieges schufen jene Homogenisierungen, welche die europäischen Gesellschaften (…) zu sprachlich und kulturell homogenen Nationalgesellschaften machten. (…) Die europäischen Gesellschaften waren um 1900 sehr viel weniger homogen als in der Zeit nach 1945. Soziale Gruppen, Netzwerke und Milieus waren noch nicht zu jenem ‚Container‘ einer nationalen Gesellschaft verklammert, den Umfragedaten und Sozialstatistiken seit 1945 als quasi ‚natürliches‘ Objekt von Sozialpolitik und Sozialgeschichte präsentieren“ (285). Doch es gibt noch immer unbereinigtes Gelände, das zur „ethnografischen Flurbereinigung“, zu Ethnischen Säuberungen herausfordert, wie insbesondere die jüngeren Entwicklungen in Südost-Europa zeigen.

Nach dem extremen 20. Jahrhundert müßte grundsätzlich anders Politik gemacht werden, und alle bisherige Politik und deren Grundlagen müssen einer Revision unterworfen werden. Doch die alternativlose Affirmation des Bestehenden ist Ziel aller Gedenk- und Erinnerungskultur und der betriebenen Geschichtspolitik, die genau dies zu verhindern trachten, sodaß alles so bleiben kann wie es ist auch nach dem extremen 20. Jahrhundert. Die real-existierende Gedenk- und Erinnerungskultur und die dieser zugrundeliegenden Geschichtspolitik ist Bestandteil einer „Bewußtseins-Industrie“. Nach Hans Magnus Enzensberger ist das gesellschaftliche Ziel der Bewußtseins-Industrie überall dasselbe, „die existierenden Herrschaftsverhältnisse, gleich welcher Art sie sind, zu verewigen. Sie soll Bewußtsein nur induzieren, um es auszubeuten“, und sie beginnt mit der „Elimination von Alternativen (...). Daß dieser Zustand von der Majorität hingenommen und freiwillig ertragen wird, ist heute die wichtigste Leistung der Bewußtsteins-Industrie“ (286).

Geschichte dient dem Zweck der alternativlosen Affirmation des jeweiligen, letztlich beliebigen Bestehenden. Die Gegenwart wird als alternativloses, determiniertes Ergebnis des historischen Prozesses dargestellt und vermittelt, dessen zwangsläufiges, unausweichbares und alternativloses Ergebnis der jeweilige gegenwärtige Zustand ist. Der Historiker Yuval Noah Harari stellt in seinem Buch: „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ fest: „Der Determinismus ist verführerisch, denn er vermittelt uns das Gefühl, daß unsere Welt und unsere Vorstellungen ein natürliches und unvermeidliches Produkt der Geschichte sind. Demnach gäbe es gar keine andere Möglichkeit, als die Welt in Nationalstaaten aufzuteilen“ (287). Die Frage nach in der Geschichte angelegten alternativen Entwicklungspfaden und deren Herauspräparation, sowie eine Analyse, aus welchen Umständen und Gründen mögliche, im historischen Prozeß angelegte historische Entwicklungspfade zum Zuge gelangten und andere nicht, wird als „Kontrafaktische Geschichte“ denunziert und vom Mainstream als angeblich „unwissenschaftlich“ abgelehnt, da es nicht dem herrschenden geschichtsdeterministischen Dogma entspricht, das den gegenwärtigen Zustand als das quasi alternativlose naturgesetzliche Ergebnis geschichtlicher Entwicklung auffaßt, so, wie bei Newton der Apfel immer nur nach unten vom Baum fällt. Andere Möglichkeiten sind ausgeschlossen und undenkbar.

Beim Historiker und Geografen Herodot von Halikarnassos (288) (ca. 490 – 425 v. Chr.) fasziniert mich, daß er seine historischen Forschungen, wie z.B. den zu den Persischen Kriegen, auf ein selbst erarbeitetes breites Wissensfundament stellt, das nahezu das gesamte Wissen seines Zeitalters in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen, wie z.B. Geografie, Völkerkunde, Gesellschaftswissenschaften, Politikwissenschaften, Philosophie u.a.m. umfaßt, sodaß er Geschichtswissenschaft in Form einer Integrationswissenschaft betreibt. Zudem ist er an den Originalschauplätzen historischer Ereignisse herumgereist, hat Zeitzeugen befragt und schriftliche Quellen ausgewertet. In dieser Form gewinnt das Geschichtsbewußtsein einen großen Erfahrungsraum von historischer Tiefe und geografischer Breite, und es überschreitet die engen Grenzen, in denen Geschichte als Tradition lebendig ist. Auch der Historiker Thukydides (289) (ca. 460 – 400 v. Chr.) hat diese Methodik bei seinen historischen Forschungen zum Peleponnesischen Krieg angewandt, und nach seiner Auffassung macht Geschichte „klug für immer“, denn sie lehrt am Beispiel der Vergangenheit politische Klugheitsregeln für Gegenwart und Zukunft. Verglichen mit der Forschungsmethodik Herodots ist die Arbeitsweise heutiger Historiker beschränkter und weniger geeignet, bei den behandelten Themen einen Überblick und Durchblick zu erlangen und die historischen Realitäten in ihrer gesamten Komplexität und Interdependenz zu erfassen. Um einen besseren Überblick und Durchblick zu erlangen und die historischen Realitäten in ihrer gesamten Komplexität angemessener zu erfassen, ist auch bei historischer Forschung eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen erforderlich, wie es im Rahmen des interdisziplinären Projekts der modernen Anthropologie erfolgt, wobei sich das gemeinsame Erkenntnisinteresse an der kant‘schen Frage „Was ist der Mensch?“ orientiert. Zudem sollte historische Forschung mehr als Feldforschung an den Originalschauplätzen historischer Ereignisse betrieben werden, wie es schon Herodot als Methode historischer Forschung eingeführt hatte, und wie es u.a. bei Ethnologen und Archäologen sowie Bio- und Geowissenschaftlern üblich ist. Tatsächlich verbringen Historiker heute jedoch die meiste Zeit in Archiven und Bibliotheken, und sie verlassen nur selten die bequemen Komfortzonen des sprichwörtlichen „Elfenbeinturms“.

Doch aus diesen Komfortzonen müssen Historiker hinaus, wenn sie einen größeren und bedeutenderen Beitrag zu gesellschaftlicher Aufklärung leisten wollen. Dieser Beitrag zu gesellschaftlicher Aufklärung ist erforderlich, wenn man den allgemeinen Zustand der real-existierenden Gedenk- und Erinnerungskultur (290) im gesamten Europa betrachtet. Der allgemeinen Zustand der real-existierenden Gedenk- und Erinnerungskultur wird deutlich, wenn man im gesamten Europa systematisch Denkmäler, Gedenkstätten und Museen besucht. Der Befund der im gesamten Europa angetroffenen real-existierenden Gedenk- und Erinnerungskultur zeigt einen erheblichen Mangel an Reflektion, an Begreifen und Verstehen auf, und er ist ein Feld der Manipulation, Instrumentalisierung und Propaganda (291) der unterschiedlichsten Akteure. Dieser Bereich der Gedenk- und Erinnerungskultur wird gänzlich von Geschichtspolitik (292), Interessenpolitik und Identitätspolitik (293) insbesondere von Nationalisten und Nationalstaaten beherrscht. Nahezu überall werden vorgefertigte Geschichtsbilder präsentiert und propagiert, und es fehlt weitgehend der Anspruch einer Aufklärung, das Publikum darin zu unterstützen, sich auch zu historischen Themen und Fragen eine eigenständige und unabhängige Meinung zu bilden. Noch ist Gedenk- und Erinnerungskultur kein Projekt der Aufklärung, und sie dient vielmehr der alternativlosen Affirmation des letztlich beliebigen Bestehenden. Die Gegenwart wird folglich als alternativloses, determiniertes Ergebnis des historischen Prozesses dargestellt und vermittelt, dessen zwangsläufiges, unausweichbares und alternativloses Ergebnis der jeweilige gegenwärtige Zustand ist, und dies ist im Zeitalter des modernen Nationalismus insbesondere die Nation und der Nationalstaat.

Bezüglich Gedenk- und Erinnerungskultur ist der Schritt von Geschichtspolitik zu Geschichtswissenschaft (294) zwingend erforderlich. Jegliche Geschichtspolitik muß vollständig aufgegeben werden und durch Geschichtswissenschaft ersetzt werden, wobei eine Debatte erfolgen muß, was Geschichtswissenschaft als einer Wissenschaft leisten kann und soll, und wie Geschichtswissenschaft zu gesellschaftlicher Aufklärung beitragen kann, etwa in Anlehnung an den sogenannten „Historikerstreit“ (295), den Mitte der 80er Jahre der Philosoph Jürgen Habermas angeregt hatte, nun aber in einem europäischen Maßstab. Gesellschaftliche Aufklärung bedeutet, das Publikum darin zu unterstützen, sich auch zu historischen Themen und Fragen eine eigenständige und unabhängige Meinung zu bilden, doch noch werden überall vorgefertigte Geschichtsbilder präsentiert und propagiert. Die Mängel der bestehenden Gedenk- und Erinnerungskultur an Reflektion, an Begreifen und Verstehen werden deutlich, wenn man in Europa zahlreiche Denkmäler, Gedenkstätten und Museen zu historischen Themen in verschiedenen Ländern besucht. Nach Auffassung des Historikers Jürgen Kocka in seinem Text: „Geschichte als Aufklärung?“ zeichnet sich „der wissenschaftliche Umgang mit Geschichte (…) gegenüber anderen Umgängen mit Geschichte (etwa in Form von Mythen, Legenden, fiktionaler Literatur, Denkmälern, Mahnmalen, historisierenden Festen usw.) dadurch aus, daß er selbst ein Produkt der Aufklärung ist. (…) Die der Geschichte als Wissenschaft eigene Rationalität ist im Prinzip geeignet, (wenn auch nicht immer mächtig genug), der Instrumentalisierung der Geschichte zu anti-aufklärerischen Zwecken enge Grenzen zu ziehen. Am sogenannten ‚Historikerstreit‘ läßt sich das zeigen“ (296). Um in diesem Sinne einen Beitrag zu gesellschaftlicher Aufklärung zu leisten, müssen Historiker ihr Selbstverständnis als Wissenschaftler und die gesellschaftliche Relevanz von Geschichtswissenschaft überprüfen, und sie müssen die bequemen Komfortzonen des sprichwörtlichen „Elfenbeinturms“ verlassen, wo sie weltabgewandt in den Tiefen von Archiven und Bibliotheken ihre oftmals exzentrischen Forschungsprojekte betreiben.

Seit dem Zeitalter der Aufklärung gibt es die Institutionen der Literaturkritik (297), der Kunstkritik (298), der Theaterkritik (299) und später der Filmkritik (300). Doch es gibt bis heute keine Institution der Kritik der Gedenk- und Erinnerungskultur und der diesen zugrunde liegenden Geschichtspolitiken. Gegenstand dieses Genres der Kritik der Gedenk- und Erinnerungskultur sind Museen, Gedenkstätten, Denkmäler, und insbesondere der öffentliche Umgang mit Geschichte und ihrer Instrumentalisierung für die unterschiedlichsten Zwecke durch die unterschiedlichsten Akteure. In Anbetracht des Befunds der real-existierenden Gedenk- und Erinnerungskultur in Europa wird m.E. im gesamten Europa eine Institution der Kritik der Gedenk- und Erinnerungskultur dringend benötigt, um nach dem extremen 20. Jahrhundert das Projekt der Aufklärung in Europa fortzusetzen. Damit die Gedenk- und Erinnerungskultur zukünftig ein Projekt der Aufklärung werden kann, bedarf es zuerst und insbesondere einer Institution der Kritik der bestehenden Gedenk- und Erinnerungskultur, damit diese ein Gegenstand der öffentlichen Reflektion und Diskussion werden kann, und ein so aufgeklärtes Publikum wird einen anderen Umgang mit Gedenk- und Erinnerungskultur sowie mit Geschichte erwarten und einfordern. Ein anderer Umgang mit Geschichte ist erforderlich, wenn in Europa etwas anders und besser werden soll.

Überall in Europa wird die real-existierende Gedenk- und Erinnerungskultur überwiegend von Nationalisten und Militaristen geprägt und gestaltet, denen dieser Kulturbereich unhinterfragt und kritiklos überlassen wird. Nationalisten nutzen in ganz Europa die real-existierende Gedenk- und Erinnerungskultur mit ihren Denkmälern (301), Gedenkorten und Bauwerken als Kultstätten (302) und Sakralbauten (303) der politischen Religion des Nationalismus, in denen sie die Kulte (304) und Rituale (305) der politischen Religion des Nationalismus pflegen. Militaristen nutzen die real-existierende Gedenk- und Erinnerungskultur, um zum Zweck der Machtbehauptung der Nation auch in Zukunft noch weiterhin Kriege führen zu können, und dafür müssen Kriege über die Gedenk- und Erinnerungskultur der Gesellschaft positiv vermittelt werden, und Soldaten müssen durch Internalisierung militärischer Tugenden entsprechend konditioniert werden. Die gesamte Gedenk- und Erinnerungskultur ist insbesondere in der östlichen Hälfte Europas dem Ziel der „Entwicklung einer nationalen Identität“ untergeordnet, und dieses Ziel prägt darüber hinaus dort den gesamten Politik- und Kulturbereich. So führe ich die Konflikte in der östlichen Hälfte Europas in erheblichem Maße auf Defizite der Gedenk- und Erinnerungskultur im gesamten Europa und auf mangelnde Reflektion zurück, was ein Wiederaufleben des Nationalismus nach 1989/90 begünstigte. Dieser Nationalismus wird insbesondere in der östlichen Hälfte Europas von Welt- und Supermächten im Zuge der seit 1989/90 erfolgenden Neuaufteilung globaler Interessen- und Einflußzonen geopolitisch instrumentalisiert, und er ist deshalb Ursache von Krisen, Konflikten und Kriegen.

Von Nationalisten wird Geschichte als Nationalgeschichte betrieben, um die Ansprüche von Nationen und Nationalstaaten zu begründen und zu legitimieren, was der Historiker Patrik J. Geary in seinem Buch: „Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen“ aufzeigt: „Die modernen Methoden der Geschichtsforschung und -schreibung sind kein neutrales Instrumentarium der Wissenschaft, sondern wurden speziell zu dem Zweck entwickelt, nationalistische Ziele zu fördern“ (306). Geschichte wird somit aus dem autistischen Blick der eigenen Nation betrieben und auf diesen reduziert. Von Nationalisten wird Nationalgeschichte als Geschichtspolitik betrieben, um eine nationale Identität zu entwickeln und zu fördern. Für Nationalisten sind Nationen in der Geschichte handelnde transhistorische Kollektivsubjekte, wie z.B. „die Deutschen“, die „Franzosen“ „die Russen“, „die Polen“, „die Italiener“ u.a.m.. Komplexe historische Sachverhalte lassen sich so sehr einfach darstellen, ohne jegliche historische und wissenschaftliche Analyse. Derart betriebene Geschichte ist nichts anderes als Propaganda, aber sie ist auch heute noch überall üblich und anzutreffen. Dies läßt sich feststellen, wenn man systematisch in den verschiedenen europäischen Nationalstaaten historische Museen und Gedenkstätten besucht. Ein derartiger Mißbrauch von Geschichte  muß überwunden und beendet werden.

Es stellt sich die Frage nach der Wissenschaftlichkeit von Geschichte und historischer Forschung als einer Wissenschaft und wie sich diese begründen läßt. Nach Auffassung des Historikers Theodor Schieder in seinem Text: „Geschichtsinteresse und Geschichtsbewußtsein heute“ macht sich „der Wissenschaftscharakter der Geschichte“ dadurch geltend, daß sie „das Ganze ihres Gegenstandes zu erfassen strebt, Erinnerungen nur dann als möglich ansieht, wenn der geschichtliche Gang der Menschheit in seiner Gesamtheit offen dargelegt werden kann“, und es besteht die „Aufgabe, das Erinnerungsvermögen des Menschen auf die Herkunft und die Entwicklung seiner Art auszudehnen. (…) Eine vergleichbare Aufgabe kann heute wohl die historische Begründung einer menschheitlichen Weltgeschichte darstellen, die den gewiß schwierigen Versuch unternimmt, für die Völker der Welt mit ihren weit auseinanderliegenden Traditionen einen gemeinsamen Rahmen geschichtlichen Selbstverständnisses zu schaffen“ (307). Meines Erachtens läßt sich eine wissenschaftlich fundierte Geschichtswissenschaft nur im Rahmen von Global- und Weltgeschichte betreiben, wie dies schon im Zeitalter der Aufklärung der Fall gewesen ist, und zudem im Rahmen einer Menschheitsgeschichte, die Bestandteil der Geschichte des Lebens auf diesem Planeten ist.

17. Wie weiter nach dem extremen 20. Jahrhundert ?

Wir sind nach dem extremen 20. Jahrhundert an einem Punkt angelangt, wo die Grundlagen des Zeitalters der Moderne einer Überprüfung und Revision mit Blick auf alternative zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten unterzogen werden müssen, und hierzu gehört insbesondere die politische Religion des modernen Nationalismus, dessen wesentliches Fundament zum einen die Sprachen bilden und zum anderen die Nationalgeschichte als Legitimationsmythos des Nationalstaates. Nationalisten betreiben Geschichtspolitik und nutzen die herrschende Gedenk- und Erinnerungskultur als quasireligiösen Kult der politischen Religion des Nationalismus. Der homogene Nationalstaat gilt weiterhin als das anzustrebende Ideal der Politik. Die Ethnischen Säuberungen, Zwangsumsiedlungen, Vertreibungen und Deportationen des extremen 20. Jahrhunderts, die die heutige Welt der homogenen Nationalstaaten schufen, dürfen nicht in Frage gestellt werden, und der durch diese Verbrechen erreichte Zustand wird hartnäckig verteidigt. Doch niemand will die Verantwortung für den entstandenen immensen Gesamtschaden übernehmen, stattdessen werden weiterhin Schuldige gesucht. Ergebnis ist die alternativlose Affirmation des Bestehenden. Eine Suche Suche nach Alternativen wird unterdrückt, da herrschende Paradigmen und Dogmen in Frage gestellt werden könnten. Das Ziel einer Aufklärung wird verfehlt.

Auf Grundlage der Doppelgestalt der Idee der Nation, wobei das republikanische Konzept des Staatsbürgers mit dem der Volksgenossen einer geborenen Nation in einem Spannungsverhältnis steht, diskutiert der Philosoph Jürgen Habermas in seinem Text: „Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie“ „Sinn und Unsinn nationaler Selbstbestimmung“: Faktisch ist „in der Welt, wie wir sie kennen“, ein Nationalstaat ein Produkt erfolgreicher Machtdurchsetzung nach dem „Effektivitätsprinzip“, das sich durch die „Regierungskriminalität, die sich im Schatten des technologisch entgrenzten und ideologisch enthemmten Zweiten Weltkrieges ausgebreitet hat“ (308) diskreditiert hat. Eine Alternative zum Konzept nationaler Selbstbestimmung ist das Konzept einer „differenzempfindlichen Inklusion“ mit föderalistischer Gewaltenteilung, Dezentralisierung, kultureller Autonomie, gruppenspezifischen Rechten, Gleichstellung und Minderheitenschutz (309) im Rahmen einer „postnationalen Vergesellschaftung“, die in eine gemeinsame politische Kultur eingebettet ist und die von einer Zivilgesellschaft getragen wird (3010).

Die internationale Zivilgesellschaft und NGOs haben eine größere Bedeutung und ein größeres Gewicht in der internationalen Politik nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro erlangt, u.a. im Rahmen der „Agenda 21“ (311). Die „Agenda 21“ ist ein Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert, das auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio im Jahre 1992 von über 170 Staaten beschlossen wurde. Im Rahmen der Agenda 21 sollen Alternativen zu nicht zukunftsfähigen Entwicklungen entworfen werden, die Modernisierung, Industrialisierung und wirtschaftliches Wachstum als Leitbilder ablösen. Die Agenda 21 fordert alle Städte und Gemeinden auf, in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft gemäß dem Leitbild einer „nachhaltigen Entwicklung“ ein lokales Aktionsprogramm für ihre zukunftsfähige Entwicklung in Form einer „Lokalen Agenda 21“ zu erarbeiten. Die „Agenda 21“ des Rio-Nachfolgeprozesses mitsamt den „Lokalen Agenden 21“ können als eine erfolgreiche und zukunftsweisende Übertragung des Subsidaritätsprinzips auf den Bereich der Diplomatie und der internationalen Politik und als eine Förderung einer Multiebenendiversität des Politischen angesehen werden, wobei im Rahmen eines Mehrebenensystems einer dezentrierten Weltgesellschaft eine weitere Ebene einer Diplomatie von Unten entsteht. Zudem erlangen in diesem Rahmen Städte und Kommunen wieder eine größere politische Bedeutung, die sie am Übergang von Mittelalter zur Neuzeit größtenteils verloren hatten. Doch nach anfänglichen Erfolgen sind die Bemühungen im Rahmen der „Agenda 21“ bald wieder eingeschlafen, sodaß nach den 90er Jahren diese Entwicklung auch schon wieder als rückläufig erscheint. Seit den Ereignissen des 11.09.2001 gilt nunmehr eine gänzlich andere Agenda (Agenda-Cutting, Agenda-Setting-Effekt). Die Themen Umwelt, Entwicklung und Global Governance (312) wurden durch die Themen Terrorismus, Ausnahmezustand und Interventionismus abgelöst und verdrängt. Mit der sogenannten „Corona-Krise“ erfolgt ein neues globales „Agenda-Setting“.

Der Umgang der USA mit den Ereignissen des 11.09.2021 hatte einen „gespaltenen Westen“ zur Folge, eine Entwicklung, die der Philosoph Jürgen Habermas in seinem Buch: „Der gespaltene Westen“ analysiert: „Nicht die Gefahr des internationalen Terrorismus hat den Westen gespalten, sondern eine Politik der (...) US-Regierung, die das Völkerrecht ignoriert, die Vereinten Nationen an den Rand drängt und den Bruch mit Europa in Kauf nimmt. (…) Die Spaltung zieht sich (…) durch Europa und durch Amerika selber hindurch“ (313). Dieser Entwicklung stellt Habermas das „Kantsche Projekt der Abschaffung des Naturzustandes zwischen den Staaten“ entgegen, das der Philosoph Immanuel Kant in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ im Jahre 1795 vorentworfen hatte. Habermas skizziert ein Mehrebenensystem einer „Weltinnenpolitik ohne Weltregierung“: „Im Lichte der Kantschen Idee kann man sich eine politische Verfassung einer dezentrierten Weltgesellschaft, ausgehend von den heute bestehenden Strukturen, als ein Mehrebenensystem vorstellen, dem im Ganzen der staatliche Charakter aus guten Gründen fehlt“ (314). Dabei wird der Weg vom Staatenrecht zum Weltbürgerrecht beschritten, und die individuellen Bürger werden als unmittelbare Subjekte des Völkerrechts anerkannt, womit die Transformation des Völkerrechts in ein Weltverfassungsrecht eingeleitet wird. Auf dieser Grundlage mahnt Habermas Reformen der UNO an.

Das Thema Europa wird heute in den Medien auf „EU“ und „Euro“ reduziert, und es gerät aus dem Blick, daß Europa, wie der Soziologe Ulrich Beck und der Politologe Edgar Grande in ihrem Buch: „Das kosmopolitische Europa“ hervorheben, ein „hochkomplexes und äußerst differenziertes, politisch bewegtes und bewegliches politisches Projekt“ ist, das sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher miteinander in Wechselwirkung stehenden politischen Prozessen, Ebenen und Akteuren zusammensetzt, die in ihrer interdependenten Gesamtheit das europäische Projekt ausmachen (315). Dies läuft auf eine Förderung einer Multiebenendiversität des Politischen im Rahmen eines Mehrebenensystems einer dezentrierten Weltgesellschaft hinaus. Es entsteht somit in Europa ein völlig neues Modell von Politik, das sich von historisch überholten Politikformen verabschiedet, deren Scheitern in Anbetracht des extremen 20. Jahrhunderts unübersehbar geworden ist.

Bei meinen Fahrradreisen durch verschiedene Regionen Europas habe ich wiederholt grenzübergreifende Naturschutzgebiete kennengelernt, deren Konzepte Naturschutz mit Tourismus verbinden, sodaß strukturschwache Grenzregionen, in denen sich Staaten in der Ära der Staatenkonkurrenz gegenseitig abgrenzten und militärisch bedrohten, und die auch deswegen wenig besiedelt waren, sodaß sich Natur entfalten konnte und erhalten blieb, jetzt zu Räumen des Naturschutzes und zu Regionen der grenzübergreifenden und grenzüberschreitenden internationalen Begegnung, des interkulturellen Austausches des gegenseitigen Kennenlernens und der Kooperation werden. Diese Konzepte sind konsequent mehrsprachig angelegt unter Einbeziehung aller Anrainer in der Region sowie der erwarteten Besucher und Touristen. Diese Konzepte sind zugleich Konzepte regionaler Förderung insbesondere strukturschwacher Gebiete, und sie sind eine Förderung zur Bildung grenzübergreifender Europaregionen (316), die das bornierte und historisch überholte Konzept der Nation und des homogenen und gewaltsam homogenisierten Nationalstaates überwinden helfen.

Das Konzept der homogenen Nation und des durch Ethnische Säuberungen gewaltsam homogenisierten Nationalstaates prägt die jüngere Geschichte Europas bis in die unmittelbare Gegenwart, wie das Beispiel des ehemaligen Jugoslawiens zeigt, wo die Idee der Nation bis auf die Mikroebene durchdekliniert wird und eine Fülle von sich gegeneinander abgrenzenden Kleinststaaten geschaffen wird. Heute erscheint Europa mehr als eine Veranstaltung zur Rettung der Idee der Nation und des Nationalstaates, obwohl diese nach dem extremen 20.Jahrhundert als historisch überholt gelten müssen, als daß neue Ideen und Konzepte jenseits der Idee der Nation und des Nationalstaates entwickelt und umgesetzt werden, und so kann regionalen, grenzübergreifenden Kooperationsprojekten, die Naturschutz mit Tourismus verbinden, ein zukunftsweisender Modellcharakter zukommen, der auch für andere Weltgegenden ein Beispiel bieten kann. Dies ist weit geeigneter und produktiver, als wenn weltweit weiterhin versucht wird, die europäische Idee der Nation und des Nationalstaates überall weltweit umzusetzen und diese auch gewaltsam durchsetzen zu wollen, da die Nation und der Nationalstaat angeblich die natürliche und alternativlose Vergesellschaftungsform des Menschen ist.

18. Anmerkungen:

1) Siehe: Golo Mann: Geschichte als Ort der Freiheit. Ein Gespräch mit Adalbert Reif. S. 50. In: Carl J. Burckhardt: Geschichte zwischen Gestern und Morgen. 1974, München. S. 41-72.

2) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Nation

3) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalstaat

4) Siehe: Martin Albrow: Abschied vom Nationalstaat. Staat und Gesellschaft im Globalen Zeitalter. 1998, Frankfurt am Main. S. 39. Anhand einer Vielzahl gegenwärtiger Entwicklungen zeigt der Autor auf, daß wir uns gegenwärtig am Ende des Zeitalters der Moderne befinden, das von einem Globalen Zeitalter abgelöst wird. Hierbei ändert sich insbesondere das gesellschaftspolitische Ordnungsmodell, das im Zeitalter der Moderne der Nationalstaat war.

5) Siehe: Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen. 2001, München. S. 13.

6) Siehe: Wolfgang J. Mommsen: Die Geschichtswissenschaft am Ende des 20. Jahrhunderts. S. 30. In: Christoph Cornelißen: Geschichtswissenschaften. Eine Einführung. 2000, Frankfurt am Main. S. 26-38.

7) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnische_Säuberung

8) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Totale_Institution

Der Begriff der „Totalen Institution“ wurde insbesondere vom Soziologen Erving Goffmann (1922-1982) geprägt, der in seiner Studie: „Asyle. Über die soziale Situation psychatrischer Patienten und anderer Insassen“ Menkmale totaler Institutionen aufführt. Vgl.: Erving Goffmann: Über die Merkmale totaler Institutionen. In: Derselbe: Asyle. Über die soziale Situation psychatrischer Patienten und anderer Insassen. Frankfurt am Main, 1972. S. 13-23.

Beispiele Totaler Institutionen sind: das Gefängnis, das Lager in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen, die Kaserne, die Wehrpflicht, die Fabrik, die Krankenanstalt, die Schule. Totale Institutionen schaffen einen Raum der Inklusion und der Exklusuion und sie sind sind insbesondere charakterisiert durch die in ihnen herrschenden „Besonderen Gewaltverhältnisse“, die auf Extralegalität und Sonderbehandlung abzielen. Der „Maßnahmenstaat“ nach Ernst Fraenkel kann als eine radikalisierte Form Totaler Institutionen und der in diesen herrschenden „Besonderen Gewaltverhältnisse“, die auf Extralegalität und Sonderbehandlung abzielen, angesehen werden.

In ihren verschiedenen Varianten sind „Totale Institutionen“ überall anzutreffen, und sie werden als selbstverständliche Grundlage der Gesellschaft und als Bestandteil gesellschaftlicher und staatlicher Herrschaft akzeptiert und hingenommen, wobei im Rahmen der totalitären Gesellschafts- und Staatsidee das Funktionsprinzip der Totalen Institutionen aus diesen heraus auf potentiell sämtliche Bereiche der Gesellschaft übertragen und angewendet wird. Ein Ende des Zeitalters des Totalitären und des Totalitarismus ist somit ohne die Überwindung und Abschaffung des Konzepts der Totalen Institutionen nicht zu haben, denn sie sind die Quellen, aus denen sich die Idee des Totalitären und die Praxis des Totalitarismus immer wieder neu über die gesamte Gesellschaft ausbreiten und die Menschen entsprechend zurichten kann. Die Abschaffung Totaler Institutionen bedeutet nichts anderes als aus dem extremen 20. Jahrhundert Konsequenzen zu ziehen und dessen Grundlagen einer Revision zu unterziehen. Totale Institutionen werden auch heute noch als selbstverständlich, als erforderlich und alternativlos für den „Normalbetrieb“ der Industriegesellschaft angesehen, aber tatsächlich sind sie Formen von organisiertem Verbrechen. Daß sich bestehende gesellschaftliche Zustände und Verhältnisse auch verändern und humanisieren lassen, zeigt das Beispiel der Ächtung und Abschaffung der Sklaverei, und mit einer entsprechenden Politik eines Abolitionismus lassen sich auch Totale Institutionen, insbesondere Gefängnisse, das Strafrecht und das Bestrafen abschaffen.

9) Die Totale Institution des Lagers in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen ist die Totale Institution zur zweckrationalen Verwaltung, Überwachung, Kontrolle und Zurichtung von Menschenmassen, sie ist eine Erfindung des Zeitalters der Moderne, und sie ist ein Instrument der Industriegesellschaft.

Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Lager_(Camp)#Unfreiwilligkeit

Die Totale Institution des Lagers als moderne Form terroristischen Zwangs gegen große Menschengruppen durchzieht und prägt die Geschichte des 20. Jahrhunderts, und sie ist eins der wesentlichen und charakteristischen Elemente, die das 20. Jahrhundert zu einem extremen Jahrhundert machen. Die Totale Institution des Lagers entstand am Vorabend des 20. Jahrhunderts, und seine Laufbahn ist noch nicht zuende, und es liefert ein Beispiel, daß „die Moderne gerade in ihrer Normalität Ziehvater der Exzesse dieses Jahrhunderts ist“, wie der Gesellschaftswissenschaftler Gerhard Armanski in seinem Buch: „Maschinen des Terrors. Das Lager (KZ und GULAG) in der Moderne“ analysiert. Siehe: Gerhard Armanski: Maschinen des Terrors. Das Lager (KZ und GULAG) in der Moderne. Münster, 1993. S. 18.

Ursprung und Prototyp des Konzentrationslagers ist die Strafkolonie.

Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Strafkolonie

Als ein rezentes Beispiel für ein Konzentrationslager kann das Gefangenenlager Guantanamo aufgeführt werden.

Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gefangenenlager_der_Guantanamo_Bay_Naval_Base

10) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ausnahmezustand

11) Vgl.: Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat. Recht und Justiz im „Dritten Reich“. Frankfurt am Main, 1984. In dieser Analyse der Herrschaft im NS-Staat, die im Jahre 1941 erstmals veröffentlicht wurde, unterscheidet der Jurist und Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel (1898-1975) die fortexistierenden Institutionen eines legalen „Normenstaates“, dessen Handeln sich an Gesetzen orientiert, von den neu geschaffenen Institutionen eines extralegalen „Maßnahmenstaates“ als Instrument willkürlicher Machtentfaltung und enthemmter Gewaltausübung. Als historische Beispiele für Institutionen des „Maßnahmenstaates“ können aufgeführt werden: die Konzentrationslager, die SS, die GeStaPo, der SD, das RSHA, die „Aktion T4“, die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD, die „Aktion Reinhardt“, und weitere. Der „Maßnahmenstaat“ kann als eine radikalisierte Form „Totaler Institutionen“ und der in diesen herrschenden „Besonderen Gewaltverhältnisse“ angesehen werden, die auf Extralegalität und Sonderbehandlung abzielen.

12) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Totaler_Krieg

13) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Totalitarismus

14) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Faschismus

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Faschismustheorie

15) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialismus

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/NS-Forschung

16) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ideologie

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Politische_Ideologie

Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Ideologiekritik

17) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Politische_Religion

18) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturelle_Hegemonie

19) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Aufklärung

20) Die Forderung nach einem neuen, nunmehr globalen Zeitalter der Aufklärung wird mittlerweile häufiger erhoben, so z.B. von dem Physiker und Biologen Ernst Ulrich von Weizsäcker und dem Wissenschaftler Anders Wijkman in ihrem Buch: „Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen“: „Die neue Aufklärung, die ‚Aufklärung 2.0‘, wird nicht europazentriert sein. Sie muß sich auch an den großartigen Traditionen anderer Zivilisationen orientieren.“ Siehe: Ernst Ulrich von Weizsäcker, Anders Wijkman: Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. 2019, München. S. 181.

21) Auf diese Leitfrage einer Aufklärung verweist der Literaturwissenschaftler Steffen Martus in seinem Buch: „Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert – ein Epochenbild“: „In den aktuellen Kulturkonflikten stellt sich das Problem mehr denn je. Wir sehen tagtäglich, dass Argumente, die uns triftig erscheinen, anderen Menschen gar nicht einleuchten. Wir stellen fest, dass unser Lebens- und Denkstil, unsere Lebens- und Denkhaltung nicht per Anweisung, Belehrung oder Gesetz übertragen werden können. Wir verstehen, dass wir für unsere grundlegenden Einstellungen werben müssen und dass wir dafür viel Zeit, Geduld und nicht allein gute, sondern auch attraktive und interessante Ideen benötigen.“ Siehe: Steffen Martus: Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert – ein Epochenbild. 2018, Reinbek bei Hamburg. S. 16-17.

22) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sprache

23) Das moderne evolutions-ökologisch fundierte geodynamische Weltbild ist ein junges Produkt einer Synthese interdisziplinärer wissenschaftlicher Erkenntnisse der wenigen zurückliegenden Jahrzehnte, zu dessen Entstehung insbesondere Geo- und Biowissenschaftler beigetragen haben. Dargestellt ist dieses moderne evolutions-ökologisch fundierte geodynamische Weltbild in Kapitel 7 meines Textes: „Impressionen in Zeiten der ‚Corona-Krise‘. Ein Reisebericht aus Südamerika“.

24) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturelle_Vielfalt

25) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Menschheitsgeschichte

Als Menschheitsgeschichte kann die Geschichte der Ausbreitung und Ausdifferenzierung des anatomisch modernen Menschen vor ca. 70.000 Jahren von seinem Ursprung im östlichen Afrika über den gesamten Planeten Erde bis zur Gegenwart aufgefaßt werden. Hierbei hatten mehrere technologische Revolutionen weitreichende gesellschaftliche Folgewirkungen, insbesondere die Promethische Revolution, die Neolithische Revolution, die Industrielle Revolution und aktuell die Digitaltechnische Revolution.

Vgl. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Ende_der_Menschheit

26) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Neolithische_Revolution

27) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hydraulische_Gesellschaft

28) Vgl.: Karl August Wittfogel: Die Orientalische Despotie. Eine vergleichende Untersuchung totaler Macht. 1981, Frankfurt am Main.

29) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Frühe_Hochkulturen

30) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachtod

31) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Instrumentelle_Vernunft

Sowie: Max Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. 1974, Frankfurt am Main. Die instrumentelle Vernunft und ihre Kritik bildet die analytische Schlüsselkategorie der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, die auf Grundlage interdisziplinärer geistes- und gesellschaftswissenschaftlicher Analysen eine Synthese von Gesellschafts- und Kulturkritik leistet.

32) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zweisprachig

33) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Mehrsprachigkeit

34) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachgrenze

35) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Dialektkontinuum

36) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Volk

37) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnogenese

38) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Völkerwanderung

sowie: Reinhard Prohanka: Die Völkerwanderung. 2018, Wiesbaden.

39) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstbestimmungsrecht_der_Völker

40) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Nationale_Identität

41) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Mythos

42) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Politischer_Mythos

43) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Indogermanistik

44) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Indogermanische_Sprachen

45) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Indogermanische_Ursprache

46) Siehe: Ingrid Oswald: Nationalitätenkonflikte im östlichen Teil Europas. 1993, Berlin. S. 8. Die Autorin stellt die Vielfalt der ethnonationalistischen Konflikte in den einzelnen Ländern des östlichen Europas dar, die infolge der Auflösungsprozesse ab 1990 entstanden sind. Während die Staaten in der westlichen Hälfte Europas zusammenstreben und Souveränitätsrechte abgeben, ist mit der Rückkehr des Nationalismus in der östlichen Hälfte Europas der entgegengesetzte Prozeß in Gang gekommen.

47) Siehe: Dieter Senghaas: Friedensprojekt Europa. 1992, Frankfurt am Main. S. 116. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Blockkonfrontation fragt Senghaas nach einer neuen konstruktiven Politik der aktiven Friedensgestaltung, die die Perspektive einer gesamteuropäischen Friedensordnung entfaltet. Diskutiert werden neue, jetzt erforderliche Instrumentarien der Konfliktregelung und erforderliche Änderungen in der internationalen Politik mit Blick auf die weitere Zivilisierung von Politik.

48) Siehe: Patrik J. Geary: Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende von Werden der Nationen. 2002, Frankfurt am Main. S. 43. Der Autor dekonstruiert die Legende der indogermanischen Philologie, mithilfe derer Nationalisten versuchten, nationale Souveränitätsansprüche möglichst tief in der Geschichte zu verankern, und er weist nach, daß die Völker Europas tatsächlich nicht sonderlich alt sind, denn sie sind vielmehr das Ergebnis ausgedehnter Durchmischungsprozesse und Ethnogenesen, auf deren Grundlage sich keine historischen Machtansprüche legitimieren lassen.

49) Siehe: Julia Angster: Nationalgeschichte und Globalgeschichte. Wege zu einer ‚Denationalisierung‘ des historischen Blicks. In: Aus Politik und Zeitgeschichte: Nation und Nationalismus. 68. Jahrgang, 48/2018, 26. November 2018. S. 11.

50) Siehe: Margit Pernau: Transnationale Geschichte. 2011, Göttingen. S. 17.

51) Siehe: Ebenda. S. 11-12.

52) Siehe: Christoph Cornelißen: Das Studium der Geschichtswissenschaften. S. 11. In: Derselbe (Hg.): Geschichtswissenschaften. Eine Einführung. 2000, Frankfurt am Main. S. 9-25.

53) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltgeschichte

54) Siehe: Margit Pernau: Transnationale Geschichte. 2011, Göttingen. S. 13.

55) Siehe: Andrea Komlosy: Globalgeschichte. Methoden und Theorien. 2011, Wien. S. 48.

56) Siehe: Jürgen Kocka: Geschichte als Aufklärung? S. 94. In: Jörn Rüsen, Eberhard Lämmert, Peter Glotz (Hg.): Die Zukunft der Aufklärung. 1988, Frankfurt am Main. S. 91-98.

57) Siehe: Holm Sundhausen: Staatsbildung und ethnisch-nationale Gegensätze in Südosteuropa. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 53. Jahrgang, B 10-11/2003, 03. März 2003. S. 5.

58) Siehe: Jürgen Habermas: Geschichtsbewußtsein und posttraditionale Identität. Die Westorientierung der Bundesrepublik. S. 166. In: Derselbe: Eine Art Schadensabwicklung. Kleine politische Schriften VI. 1987, Frankfurt am Main. S. 161-179. 

59) Siehe: Jürgen Habermas: Der europäische Nationalstaat. Zu Vergangenheit und Zukunft von Souveränität und Staatsbürgerschaft. In: Derselbe: die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie. 1996, Frankfurt am Main. S. 134. In Form einer historisch-genetischen Analyse zeigt Habermas auf, wie sich in Europa im Zeitalter der Moderne das Herrschaftskonzept des Staates mit der Idee der Nation zum Nationalstaat verbunden hat, der eine neue Form der sozialen Integration schuf. Doch dieser hat eine Doppelgestalt, wobei das republikanische Konzept des Staatsbürgers mit dem der Volksgenossen einer geborenen Nation in einem Spannungsverhältnis steht. Mit Blick auf das extreme 20. Jahrhundert und insbesondere die gegenwärtigen Herausforderungen einer ‚Globalisierung‘ wird die Frage einer ‚Überwindung‘ des Nationalstaates diskutiert, doch für die Perspektive einer ‚Weltinnenpolitik‘ fehlen derzeit noch supranationale Handlungskapazitäten.

60) Siehe: Ebenda: S. 140.

61) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Regional-_und_Minderheitensprachen_in_Europa

sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Minderheitensprache

62) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachpolitik

63) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Konsumismus

sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Konsumgesellschaft

64) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Finnische_Sprachenpolitik

65) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachgesetzgebung_in_Belgien

66) Vgl.:https://de.wikipedia.org/wiki/Luxemburg#Sprachen

67) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Keltische_Sprachen

68) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Französische_Sprachpolitik

Leider ist dieser Wikipedia-Artikel gekürzt und entschärft worden, so fehlt z.B. eine vor einiger Zeit dort noch vorhandene dynamische thematische Karte der Verbreitung der verschiedenen in Frankreich gesprochenen Sprachen über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten.

69) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturimperialismus

70) Siehe: Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen. 2001, München. S. 48.

71) Siehe: Peter Glotz: Die Vertreibung. Böhmen als Lehrstück. 2003, München. S. 38-39.

72) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Diskriminierungsverbot

73) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassung

74) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Grundrechte

75) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Menschenrechte

76) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Normenhierarchie

77) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ewigkeitsklausel

78) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Normenkontrolle

79) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassungsgerichtsbarkeit

80) Siehe: Thomas Kunze, Thomas Vogel: Das Ende des Imperiums. Was aus den Staaten der Sowjetunion wurde. 2016, Bonn. S. 92 und 96.

81) Siehe: Ebenda. S. 108.

82) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Charta_der_Regional-_oder_Minderheitensprachen

83) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ukrainisierung

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Russische_Sprache_in_der_Ukraine

84) Siehe: Thomas Kunze, Thomas Vogel: Das Ende des Imperiums. Was aus den Staaten der Sowjetunion wurde. 2016, Bonn. S. 163-165.

85) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsentstehung

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Staat

86) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Absolutismus

87) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gottesgnadentum

88) Siehe: Martin Albrow: Abschied vom Nationalstaat. Staat und Gesellschaft im Globalen Zeitalter. 1998, Frankfurt am Main. S. 65.

89) Siehe: Jürgen Habermas: Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie. S. 178-180. In: Derselbe: Politische Theorie (= Philosophische Texte Band 4). 2009, Frankfurt am Main. S. 176-208.

90) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Nationenbildung

91) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Irredentismus

92) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Panbewegungen

93) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Industrielle_Revolution

94) Siehe: Martin Albrow: Abschied vom Nationalstaat. Staat und Gesellschaft im Globalen Zeitalter. 1998, Frankfurt am Main. S. 74.

95) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialimperialismus

96) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Imperialismustheorie

sowie: Wolfgang J. Mommsen (Hg.): Der moderne Imperialismus. 1971, Stuttgart.

97) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Cecil_Rhodes

98) Siehe: Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. 2022, München. S. 343.

99) Siehe: Jürgen Habermas: Vom Sinn und Unsinn nationaler Selbstbestimmung. S. 191. In: Derselbe: Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie. S. 190-195. In: Derselbe: Politische Theorie (= Philosophische Texte Band 4). 2009, Frankfurt am Main. S. 176-208.

100) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus

101) Siehe: Jürgen Habermas: Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie. S. 193. In: Derselbe: Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie. S. 190-195. In: Derselbe: Politische Theorie (= Philosophische Texte Band 4). 2009, Frankfurt am Main. S. 176-208.

102) Siehe: Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen. 2001, München. S. 107.

103) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wehrpflicht

Die Wehrpflicht wurde im 19. Jahrhundert zu einem allgemeinen weltweit verbreiteten Standard. Die historisch vollkommen neuartige Qualität und Quantität, die die Institution des Krieges mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und der damit verbundenen Ausweitung und Radikalisierung des Krieges zum Volkskrieg der mobilisierten Nation erlangte, wird insbesondere am Beispiel des Rußlandfeldzugs 1812 deutlich:

Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Russlandfeldzug_1812

Die aus nahezu ganz Europa zwangsrekrutierten Soldaten sind nichts anderes als Schlachtvieh ohne jegliche Rechte, das auf einen Todesmarsch geschickt wird: Wer nicht erfriert, wird von der eigenen Armee erschossen oder von der Zivilbevölkerung erschlagen.

104) Als idealtypischen Beispiel eines Bewußtseins und Weltbildes, das im Ersten Weltkrieg durch kollektive Erfahrung extremer und entgrenzter Gewalt der mobilisierten Nation im totalen industriellen Krieg geprägt und ausgestaltet wurde, kann Adolf Hitler aufgeführt werden.

105) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Achsenzeit

106) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Apatheia

107) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kultur

108) Siehe: Friedrich A. Brockhaus (Hg.): Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. Zwölfter Band. 19. Auflage, 1989, Mannheim. S. 580.

109) Vgl.: Karl Jaspers: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte. 1957, Frankfurt am Main.

110) Siehe: Jan Assmann: Achsenzeit. Eine Archäologie der Moderne. 2018, München. S. 283.

111) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie

112) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Immanuel_Kant

113) Vgl.: Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft (1878) (= Unveränderter Nachdruck der Vorländerschen Ausgabe von 1924). 1954, Berlin. S. 120.

114) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hellenismus

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Antikes_Griechenland

115) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Buddhismus

116) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Religion

117) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Religion

118) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Religionsdefinition

119) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Religionskritik

120) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Religion_innerhalb_der_Grenzen_der_bloßen_Vernunft

121) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Erziehung_des_Menschengeschlechts

122) Siehe: Jürgen Habermas: Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den ‚öffentlichen Vernunftgebrauch‘ religiöser und säkularer Bürger. S. 291. In: Derselbe: Politische Theorie (= Philosophische Texte Band 4). 2009, Frankfurt am Main. S. 259-297.

123) Siehe: Ebenda: S. 290.

124) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Seidenstraße

125) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Graeco-Buddhismus

126) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gandhara

127) Siehe: Ulrich Beck: Ohne Buddha wäre ich kein Christ. In: Derselbe: Nachrichten aus der Weltinnenpolitik. 2010, Berlin. S. 121.

128) Siehe: Ebenda: S. 116.

129) Siehe: Ebenda: S. 116.

130) Siehe: Ebenda: S. 119.

131) Siehe: Jürgen Habermas: Der europäische Nationalstaat. Zu Vergangenheit und Zukunft von Souveränität und Staatsbürgerschaft. In: Derselbe: die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie. 1996, Frankfurt am Main. S. 135.

132) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Soziokulturelle_Evolution

133) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Mem

134) Siehe: Susan Blackmore: Meme und die Zukunft unseres Geistes. In: Jörn Rüsen et al. (Hg.): Zukunftsentwürfe. Ideen für eine Kultur der Veränderung: 2000, Frankfurt am Main. S. 303.

135) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Diskursanalyse

136) Siehe: Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit. 2013, München. S. 296-297. In überaus origineller und intellektuell anregender Form stellt der Autor auf aktuellem Stand wissenschaftlicher Erkenntnis wesentliche Aspekte der Menschheitsgeschichte insbesondere mit Blick auf die kognitive Entwicklung dar, ausgehend vom Zeitpunkt vor ca. 70.000 Jahren, als sich der anatomisch moderne Mensch vom östlichen Afrika aus über die größten Teile der Welt verbreitete, bis zur Gegenwart und der möglichen zukünftigen Entwicklung hin zur technologischen Singularität. Eigenartigerweise ist der Zeitraum des extremen 20. Jahrhunderts ausgespart.

137) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wettrüsten

138) Siehe: Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit. 2013, München. S: S. 297.

139) Siehe: Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen. 2001, München. S. 49.

140) Vgl.: Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf von Immanuel Kant. In: Derselbe: Zum ewigen Frieden und andere Schriften. 2008, Frankfurt am Main. S. 152 – 204.

141) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltgesellschaft

142) Siehe: Jürgen Habermas: Der gespaltene Westen. 2004, Frankfurt am Main. S. 114.

143) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Völkerrecht

144) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Konferenz_von_Évian

145) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Vichy-Regime

146) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Napoleon_III.

147) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Teufelsinsel_(Französisch-Guayana)

148) Vgl.: Franz Kafka: In der Strafkolonie. Text und Kommentar. Frankfurt am Main, 2006.

149) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Bourbaki-Panorama

Sowie: https://www.bourbakipanorama.ch/

150) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Völkerbund

151) Siehe: Günter Brakelmann: Helmuth James von Moltke. 1907-1945. Eine Biographie. München, 2007. S. 81.

152) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Fridtjof_Nansen

153) Siehe: Friedjof Nansen: Rußland und der Friede. Leipzig, 1923. S. 43-45.

154) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Nansen-Pass

155) Siehe: Martin Albrow: Abschied vom Nationalstaat. Staat und Gesellschaft im Globalen Zeitalter. 1998, Frankfurt am Main. S. 101.

156) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Minderheitenschutz

157) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Vertreibung

158) Siehe: Philipp Ther: Die dunkle Seite der Nationalstaaten. ‚Ethnische Säuberungen‘ im modernen Europa. 2012, Bonn. S. 7. Der Autor untersucht das Phänomen der Ethnischen Säuberungen, die das extreme 20. Jahrhundert prägen, in allen Dimensionen: die Voraussetzungen ebenso wie die Akteure, welche Flucht, Vertreibung, Zwangsaussiedlung und Deportation betrieben, und betrachtet die Räume und Perioden in denen sie stattfanden. Es wird deutlich, daß der Nationalismus und dessen Ideal homogener Nationen und Nationalstaaten die Ursache Ethnischer Säuberungen ist.

159) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Terra_Nullius

160) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg

161) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Urkatastrophe_des_20._Jahrhunderts

162) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsziele_im_Ersten_Weltkrieg

163) Siehe: Karl Schlögel: Bugwelle des Krieges. S. 185-186. In: Stefan Aust, Stephan Burgdorff (Hg.): Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. 2003, Bonn. S. 194-195.

164) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Bevölkerungsaustausch_zwischen_Griechenland_und_der_Türkei

165) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Lausanne

166) Siehe: Philipp Ther: Die Außenseiter. Flucht, Flüchtlinge und Integration im modernen Europa. 2017, Berlin. S. 90.

167) Siehe: Alfred Maurice de Zayas: Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen. 1981, München. S. 19.

Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Nemesis_von_Potsdam

168) Siehe: Karl Schlögel: Bugwelle des Krieges. S. 190. In: Stefan Aust, Stephan Burgdorff (Hg.): Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. 2003, Bonn. S. 179-196.

169) Siehe: Ebenda. S. 196.

170) Siehe: Holm Sundhausen: Staatsbildung und ethnisch-nationale Gegensätze in Südosteuropa. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 53. Jahrgang, B 10-11/2003, 03. März 2003. S. 9.

171) Siehe: Hans Rothfels: Die Bewältigung der Gegenwart und die Geschichte. S. 144. In: Carl J. Burckhardt: Geschichte zwischen Gestern und Morgen. 1974, München. S. 130-148.

172) Vgl.: Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. 1995, München.

173) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Vielvölkerstaat

174) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Österreich-Ungarn

175) Siehe: Philipp Ther: Die dunkle Seite der Nationalstaaten. ‚Ethnische Säuberungen‘ im modernen Europa. 2012, Bonn. S. 52.

176) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/František_Palacký

177) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tomáš_Garrigue_Masaryk

178) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tschechoslowakischer_Nationalrat

179) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Edvard_Beneš

180) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Das_neue_Europa

181) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Vorläufige_tschecho-slowakische_Regierung

182) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tschechoslowakische_Unabhängigkeitserklärung

183) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ostmitteleuropa

184) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zwischeneuropa

185) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Friedensvertrag_von_Versailles

186) Siehe: Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. 2022, München. S. 569.

187) Siehe: Ebenda. S. 567-568.

188) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Dreißigjähriger_Krieg#Bewaffnete_Auseinandersetzungen_der_Zwischenkriegszeit

sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Zwischenkriegszeit#Bewaffnete_Auseinandersetzungen

189) Siehe: Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. 2022, München. S. 571.

190) Siehe: Karl Schlögel: Bugwelle des Krieges. S. 185-186. In: Stefan Aust, Stephan Burgdorff (Hg.): Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. 2003, Bonn. S. 179-196.

191) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tschechoslowakei

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Tschechoslowakische_Denkschriften_für_die_Friedenskonferenz_von_Paris_1919

192) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tschechoslowakismus

193) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_in_der_Ersten_Tschechoslowakischen_Republik

194) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sudetendeutsche

195) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Willensnation

196) Siehe: Rudolf Jaworski: Die Sudetendeutschen als Minderheit in der Tschechoslowakei 1918-1938. S. 34-35. In: Wolfgang Benz (Hg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Ursachen, Ereignisse, Folgen. 1995, Frankfurt am Main. S. 33-44.

197) Siehe: Alfred Maurice de Zayas: Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen. 1981, München. S. 49-50.

198) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sudetenkrise

199) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Münchner_Abkommen

200) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zerschlagung_der_Tschechoslowakei

201) Siehe: Peter Glotz: Die Vertreibung. Böhmen als Lehrstück. 2003, München. S. 120-121.

202) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Chronologie_des_Zweiten_Weltkrieges

https://de.wikipedia.org/wiki/Vorgeschichte_des_Zweiten_Weltkrieges_in_Europa

https://de.wikipedia.org/wiki/Vorgeschichte_des_Zweiten_Weltkrieges_im_Pazifikraum

https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Weltkrieg

203) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Konferenz_von_Teheran

204) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Konferenz_von_Jalta

205) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Potsdamer_Konferenz

206) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Potsdamer_Abkommen

207) Siehe: Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. 2022, München. S. 577.

208) Siehe: Philipp Ther: Die Außenseiter. Flucht, Flüchtlinge und Integration im modernen Europa. 2017, Berlin. S. 108 und 118.

209) Siehe: Andreas Kossert: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945. 2015, Bonn. S. 31.

210) Siehe: Karl Schlögel: Bugwelle des Krieges. S. 180-184. In: Stefan Aust, Stephan Burgdorff (Hg.): Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. 2003, Bonn. S. 179-196.

211) Siehe: Ebenda. S. 189-190.

212) Siehe: Helga Hirsch: Flucht und Vertreibung. Kollektive Erinnerung im Wandel. S. 16. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 53. Jahrgang, B 40-41/2003, 29. September 2003. S. 14-26.

213) Siehe: Klaus-Dietmar Henke: Der Weg nach Potsdam. Die Alliierten und die Vertreibung. S. 60. In: Wolfgang Benz (Hg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Ursachen, Ereignisse, Folgen. 1995, Frankfurt am Main. S. 58-85.

214) Siehe: Ebenda. S. 74.

215) Siehe: Alfred Maurice de Zayas: Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen. 1981, München. S. 30-31.

216) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Atlantik-Charta

217) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Vertreibung_der_Deutschen_aus_der_Tschechoslowakei

Sowie: https://www.ostdeutsches_forum.net/zeitgeschichte/PDF/Dokumente-zur-Austreibung-der-Sudetendeutschen.pdf

218) Siehe: Peter Glotz: Die Vertreibung. Böhmen als Lehrstück. 2003, München. S. 239-240.

219) Siehe: Reinhold Vetter: Nationalismus im Osten Europas. Was Kaczynski und Orban mit Le Pen und Wilders verbindet. 2017, Berlin. S. 105. Der Autor beschreibt und analysiert das Erstarken nationalistischer Bewegungen im östlichen Europa nach 1989/90 und fragt nach Ursachen und Gemeinsamkeiten dieser Entwicklungen in den einzelnen Ländern. Es festigt sich ein politisches System, das an autoritäre Regimes der Zwischenkriegszeit erinnert. Die Analyse beschränkt sich auf aktuelle politische Entwicklungen, die personalisiert werden, während das geistesgeschichtliche Fundament des Nationalismus im Zeitalter der europäischen Moderne nicht in den Blick genommen wird. Bei einem um Aufklärung bemühten Anspruch müßte Letzteres im Vordergrund stehen.

220) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Beneš-Dekrete

221) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnische_Deportationen_in_der_UdSSR

222) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ost-West-Konflikt

223) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Flucht_und_Vertreibung_Deutscher_aus_Mittel-_und_Osteuropa_1945-1950

224) Siehe: Klaus-Dietmar Henke: Der Weg nach Potsdam. Die Alliierten und die Vertreibung. S. 82. In: Wolfgang Benz (Hg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Ursachen, Ereignisse, Folgen. 1995, Frankfurt am Main. S. 58-85.

225) Siehe: Jochen Oltmer: Migration. Geschichte und Zukunft der Gegenwart. 2017, Bonn. S. 153.

226) Siehe: Helga Hirsch: Flucht und Vertreibung. Kollektive Erinnerung im Wandel. S. 18-19. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 53. Jahrgang, B 40-41/2003, 29. September 2003. S. 14-26.

227) Siehe: Andreas Kossert: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945. 2015, Bonn. S. 22-23.

228) Siehe: Ebenda. S. 40.

229) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Jugoslawien

230) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Südosteuropa

231) Siehe: Holm Sundhausen: Staatsbildung und ethnisch-nationale Gegensätze in Südosteuropa. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 53. Jahrgang, B 10-11/2003, 03. März 2003. S. 5.

232) Siehe: Ebenda: S. 5.

233) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Balkankriege

234) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Griechisch-Türkischer_Krieg

235) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Osmanisches_Reich

236) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Jugoslawienkriege

237) Siehe: Karl Schlögel: Bugwelle des Krieges. S. 179. In: Stefan Aust, Stephan Burgdorff (Hg.): Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. 2003, Bonn. S. 179-196.

238) Siehe: Eric J. Hobsbawm: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. 2005, Bonn. S. 213. In seiner Analyse zur Geschichte der Nationen und des Nationalismus, die mittlerweile ein Klassiker der Geschichtswissenschaft ist, vertritt Hobsbawm die These: „Ein ethnisch und/oder sprachlich begründeter Nationalismus, der für jede ‚Nation‘ einen eigenen souveränen Staat anstrebt, ist als allgemeines Programm nicht praktikabel, ist für die politischen und selbst für die ethnischen und sprachlichen Probleme der Welt am Ausgang des 20. Jahrhunderts irrelevant und hat mit hoher Wahrscheinlichkeit schlimme Folgen, wenn tatsächlich der Versuch unternommen wird, ihn in die Praxis umzusetzen.“

239) Siehe: Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen. 2001, München. S. 108.

240) Siehe: Jürgen Habermas: Vom Sinn und Unsinn nationaler Selbstbestimmung. S. 193-194. In: Derselbe: Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie. S. 190-195. In: Derselbe: Politische Theorie (= Philosophische Texte Band 4). 2009, Frankfurt am Main. S. 176-208.

241) Siehe: Alfred Verdross, Bruno Simma: Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis. 1976, Berlin. S. 255.

242) Siehe: Jürgen Habermas: Vom Sinn und Unsinn nationaler Selbstbestimmung. S. 197-198. In: Derselbe: Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie. S. 190-195. In: Derselbe: Politische Theorie (= Philosophische Texte Band 4). 2009, Frankfurt am Main. S. 176-208.

243) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Dekolonisation

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Kolonialismus

244) Siehe: Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen. 2001, München. S. 15.

245) Siehe: Ebenda. S. 93.

246) Siehe: Ebenda. S. 93-97.

247) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Spanisches_Kolonialreich

248) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tripel-Allianz-Krieg

249) Siehe: Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen. 2001, München. S. 90-91.

250) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Indigene_Völker_Südamerikas

251) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Indiens#1945-1949_-_Teilung_Indiens

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Teilung_Indiens

252) Siehe: Margit Pernau: Transnationale Geschichte. 2011, Göttingen. S. 30 und 32.

253) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Zwei-Nationen-Theorie

Zur „Zwei-Nationen-Theorie“ vgl.: Dietmar Rothermund: Grundzüge der indischen Geschichte. 1976, Darmstadt. S. 113.

254) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Britisch-Indien

255) Siehe: Michael Mann: Geschichte Südasiens 1500 bis heute. 2010, Darmstadt. S. 104.

256) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hinduismus#Zum_Begriff

257) Siehe: Bernhard Imhasly: Indien. Ein Länderportrait. 2017, Bonn. S. 46.

258) Siehe: Ebenda: S. 34.

259) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hindutva

260) Vgl.: Pierre Gottschlich: Hindu-Nationalismus. Indien auf dem Weg in einen Hindu-Staat? In: Aus Politik und Zeitgeschichte: Nation und Nationalismus. 68. Jahrgang, 48/2018, 26. November 2018. S. 34 – 39.

261) Siehe: Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen. 2001, München. S. 98 und 110.

262) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte

263) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsbewusstsein

264) Siehe: Friedrich A. Brockhaus (Hg.): Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. Achter Band. 19. Auflage, 1989, Mannheim. S. 391.

265) Siehe: Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. 1995, München. S. 17.

266) Siehe: Theodoer Schieder: Ohne Geschichte sein? Geschichtsinteresse, Geschichtsbewußtsein heute. 1973, Köln. S. 13-15.

Sowie: Theodor Schieder: Geschichtsinteresse und Geschichtsbewußtsein heute. S. 78-81. In: Carl J. Burckhardt: Geschichte zwischen Gestern und Morgen. 1974, München. S. 73-102.

267) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtskultur

268) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kollektives_Gedächtnis

269) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsbild

270) Siehe: Friedrich A. Brockhaus (Hg.): Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. Achter Band. 19. Auflage, 1989, Mannheim. S. 393.

271) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Menschenbild

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Mensch

272) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltanschauung

273) Siehe: Lynn Margulis: Der symbiotische Planet oder Wie die Evolution wirklich verlief. 2021, Frankfurt am Main. S. 9.

274) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Flache_Erde

275) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geozentrisches_Weltbild

276) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Heliozentrisches_Weltbild

277) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geozentrisches_Weltbild#Heutige_Verwendung_des_geozentrischen_Standpunktes

278) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Paradigmenwechsel

279) Vgl.: Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. 1967, Frankfurt am Main.

280) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Naturzustand

281) Siehe: Ernst Fraenkel: Möglichkeiten und Grenzen politischer Mitarbeit der Bürger in einer modernen parlamentarischen Demokratie. S. 271. In: Derselbe: Deutschland und die westlichen Demokratien. 1991, Frankfurt am Main. S. 261-276.

282) Siehe: Theodor Schieder: Geschichtsinteresse und Geschichtsbewußtsein heute. S. 100-101. In: Carl J. Burckhardt: Geschichte zwischen Gestern und Morgen. 1974, München. S. 73-102.

283) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Erkenntnisinteresse

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Erkenntnis_und_Interesse

284) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Anthropologie#Anthropologie_als_Oberbegriff_und_Dachwissenschaft

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Historische_Anthropologie

285) Siehe: Lutz Raphael: Imperiale Gewalt und mobilisierte Nation. Europa 1914-1945. 2014, Bonn. S. 17 und 36. Der Autor zeigt auf, wie sich zwei politische Ordnungsmodelle, Imperium und Nation, in Europa verbanden, wobei zwischen 1900 und 1945 im Zuge nationaler Mobilisierungen der Nationalismus radikalisierte und zur herrschenden Denkfigur wurde.

286) Vgl.: Hans Magnus Enzensberger: Bewußtseins-Industrie. S. 13 – 15. In: Derselbe: Einzelheiten I. Bewußtseins-Industrie. 1962, Frankfurt am Main. S. 7-17.

287) Siehe: Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit. 2013, München. S. 292.

288) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Herodot

289) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Thukydides

290) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Erinnerungskultur

291) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda

292) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtspolitik

293) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Identitätspolitik

294) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtswissenschaft

Sowie: https://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_der_Geschichte

Und: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Geschichtswissenschaft

295) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Historikerstreit

296) Siehe: Jürgen Kocka: Geschichte als Aufklärung? S. 92-94. In: Jörn Rüsen, Eberhard Lämmert, Peter Glotz (Hg.): Die Zukunft der Aufklärung. 1988, Frankfurt am Main. S. 91-98.

297) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Literaturkritik

298) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kunstkritik

299) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Theaterkritik

300) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Filmkritik

301) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Denkmal

302) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kultstätte

303) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sakralbau

304) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Kult

305) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ritual

306) Siehe: Patrik J. Geary: Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen. 2002, Frankfurt am Main. S. 25.

307) Siehe: Theodor Schieder: Geschichtsinteresse und Geschichtsbewußtsein heute. S. 91 und 98. In: Carl J. Burckhardt: Geschichte zwischen Gestern und Morgen. 1974, München. S. 73-102.

308) Siehe: Jürgen Habermas: Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie. S. 203. In: Derselbe: Politische Theorie (= Philosophische Texte Band 4). 2009, Frankfurt am Main. S. 176-208.

309) Siehe: Ebenda. S. 197-198.

310) Siehe: Ebenda. S. 208.

311) https://de.wikipedia.org/wiki/Agenda_21

312) https://de.wikipedia.org/wiki/Global_Governance

313) Siehe: Jürgen Habermas: Der gespaltene Westen. 2004, Frankfurt am Main. S. 7.

314) Siehe: Ebenda. S. 134.

315) Siehe: Ulrich Beck, Edgar Grande: Das kosmopolitische Europa. 2004, Frankfurt am Main. S. 23.

316) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Europaregion

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Manfred Suchan

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