Eine kurze Kritik der politischen
Ökonomie der Konsum- und
Wegwerfgesellschaft
Perspektiven der Weltgesellschaft jenseits des Wachstumsdogmas
von Manfred Suchan
Für die Funktionsmechanismen der Konsum- und Wegwerfgesellschaft bietet die Computer- und Digitaltechnik-Industrie ein idealtypischen Beispiel: Permanent werden insbesondere die Standards und Hardwarevoraussetzungen von Software verändert, und damit diese funktioniert, muß immer wieder Neues gekauft werden. Zweifellos ist es eine Strategie der Computer- und Digitaltechnik-Industrie, die User in kurzen Zeiträumen immer wieder zum Kauf neuer Hardware und Geräte zu nötigen. Eine Nutzungsdauer von Hardware von kaum mehr als zwei Jahren ist zu einem allgemeinen Standard geworden. Danach werden die Geräte meistens entsorgt, obwohl sie noch viele Jahre funktionieren könnten.
Dies ist ein Lehrstück für die politische Ökonomie der Konsum- und Wegwerfgesellschaft und deren Kritik: In der fortgeschrittenen Industriegesellschaft wird permanentes Wirtschaftswachstum durch die permanente Vermehrung und Ausweitung des Konsums, durch die Verkürzung der Nutzungszeit von Produkten und durch die Entwicklung und den Unterhalt hocheffizienter und hochleistungsfähiger Müllentsorgungssysteme gewährleistet. In der Weihnachtszeit kann man dieses in besonderem Maße gut studieren, denn Weihnachten ist heute eine erfolgreiche Kampagne zur Maximierung überflüssigen Konsums insbesondere zur Förderung des Einzelhandels. Mit der permanenten Ausweitung des Konsums verbunden ist ein permanent wachsender Verbrauch und Verschwendung von Energieressourcen und Rohstoffen mit der Folge sich ausweitender Naturzerstörungen. Ebenso wird im auf Hochtouren laufenden industriellen Produktionsprozeß die menschliche Arbeits- und Lebenszeit verschwendet.
Die alternativlose Notwenigkeit permanenten Wirtschaftswachstums ist nicht nur Produkt einer Medienkampagne, es ist vielmehr die Grundlage nahezu jeglicher wirtschaftlicher und politischer Theorie und Praxis (1). Nur durch permanentes Wirtschaftswachstum, das im Allgemeinen in Form des Bruttosozialprodukts (BSP) gemessen wird, entsteht nach allgemeiner Auffassung Wohlstand und Lebensqualität, und diese messen sich in der Menge der konsumierbaren Industrie-Produkte und Waren. In der Konsum- und Wegwerfgesellschaft (2) werden die Menschen auf die Rolle und Funktion von Konsumenten standardisierter Industriefertigprodukte reduziert und es verkümmert ihre Kreativität und Initiative. Folge ist eine Konsumkultur, die durch Passivität und Bequemlichkeit, durch Ablenkungen, Zerstreuungen und seichte Vergnügungen, durch Besinnungs- und Reflektionslosigkeit geprägt ist. Die Konsumkultur verhindert, daß die Menschen nach dem Modell der Maslowschen Bedürfnishierarchie (3) die Ebene der Transzendenz erreichen. In der Konsumkultur bleiben sie Gefangene nicht reflektierter Leidenschaften und manipulierter Wünsche. Die Konsumkultur ist nach der Analyse von Erich Fromm vom Haben und nicht vom Sein bestimmt (4).
Es besteht ein Wachstumszwang (5), da sich scheinbar sämtliche wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme durch permanentes Wirtschaftswachstum lösen lassen. Die ökologische Krise bildet hingegen eine Ausnahme, sodaß es seit Anfang der 70er Jahre eine Wachstumskritik (6) gibt. In diesem Rahmen wird eine Vielfalt an Alternativen diskutiert, und hier hat ein bedeutender Teil der Alternativbewegungen bzw. der Neuen Sozialen Bewegungen ihren Ursprung.
Doch in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft ist permanentes Wirtschaftswachstum alternativlos, denn wächst die Wirtschaft nicht permanent, haben wir eine Wirtschaftskrise. Die Politik muß nun alle Anstrengungen aufwenden, diese zu beseitigen, ansonsten haben wir ein Politikversagen und eine politische Krise. In der politischen Krise dienen Notverordnungen (7) und der Ausnahmezustand dazu, mit geeigneten und vor allem wirksamen Mitteln die Wirtschaftskrise zu beheben, und in diesem Rahmen eines Krisenmanagements dürfen auch durch die Verfassung garantierte Grundrechte eingeschränkt oder gar aufgehoben werden. Die große Weltwirtschaftskrise ab dem Jahr 1929 sowie ihre gesellschaftlichen Verwerfungen und politischen Folgen bieten hierfür ein Lehrstück (8): Die Etablierung der „souveränen Diktatur“ (Carl Schmitt), die Errichtung des „totalen Staates“ (Ernst Forsthoff) und die „totale Mobilmachung“ (Ernst Jünger) der Gesellschaft dienten dem Krisenmanagement.
Damit die Wirtschaft permanent wächst und es nicht sowohl zu einer Wirtschaftskrise und einer politischen Krise kommen kann, muß die Gesellschaft entsprechend zweckrational zugerichtet werden, damit die gesellschaftlichen Voraussetzungen für permanentes Wirtschaftswachstum gewährleistet sind. Es findet eine permanente Mobilisierung, Mobilmachung und Beschleunigung (9) der gesamten Gesellschaft statt, und immer weitere gesellschaftliche Teilbereiche werden ihrer Industrialisierung unterworfen. Mit der technokratischen Bologna-Reform hat dieser Prozeß der Industrialisierung auch den gesamten Bildungsbereich erfaßt, dem Kernstück der Bewußtseins-Industrie (10), dem sich diese jetzt bemächtigt. Nach Hans Magnus Enzensberger ist das gesellschaftliche Ziel der Bewußtseins-Industrie als Schlüsselindustrie des 21. Jahrhunderts überall dasselbe, die existierenden Herrschaftsverhältnisse, gleich welcher Art sie sind, zu verewigen. Sie soll Bewußtsein nur induzieren, um es auszubeuten, und sie beginnt mit der Elimination von Alternativen. Daß dieser Zustand von der Majorität hingenommen und freiwillig ertragen wird, ist heute die wichtigste Leistung der Bewußtseins-Industrie.
Nun stehen wir vor dem Problem, daß wirksamer Naturschutz und insbesondere der Erhalt der Biodiversität und der Biosphäre nicht mit dem Dogma permanenten Wirtschaftswachstums vereinbar ist. Wir benötigen also eine Änderung sowohl unserer Lebensweise, als auch unserer Wirtschaftsweise. Dies ist schon seit längerem bekannt und wird insbesondere seit Anfang der 70er Jahre diskutiert.
Wirtschaftspolitisch lassen sich aktuell im wesentlichen zwei Lager unterscheiden:
1. Die Vertreter eines "Grünen Wachstums", die im Zuge der Kampagne um den "Klimawandel" einen "Green New Deal" umsetzen wollen: Da ein „Green New Deal“ „die Wirtschaft in großem Stil stimulieren und höchstwahrscheinlich Millionen Arbeitsplätze schaffen wird, bietet er die größten Hoffnungen auf ein Ende der wirtschaftlichen Not der Menschen und wird deshalb umso mehr Unterstützung finden“ (11). Nicht zufällig hat diese Kampagne ihren Ursprung in den USA. M.E. geht es um die Rettung des Lebensstils des "American Way of Life" sowie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, und die Kampagne entspricht den Interessen der Industrie. In diesem Rahmen hat die aktuelle Kampagne zum Thema "Klimawandel" die Aufgabe, der Konsequenz einer Änderung sowohl unserer Lebensweise, als auch unserer Wirtschaftsweise auszuweichen und sie abzuwenden, damit alles so bleiben kann, wie es ist, und insbesondere soll das Dogma des permanenten Wirtschaftswachstums nicht beeinträchtigt und in Frage gestellt werden. Die im Zuge dieser Kampagne vertretene Sichtweise auf den Problemkomplex entspringt einer spezifischen Problemwahrnehmung aus den gesellschaftlichen Besonderheiten einer us-amerikanischen Binnenperspektive und sie ist in dieser Form nicht globalisierbar. Schon in Europa kann man auf Grundlage anderer historischer Erfahrungen zu anderen Einschätzungen und Ergebnissen gelangen. Umso mehr muß dies auf anderen Kontinenten der Fall sein.
2. Die Vertreter einer stationären Wirtschaft. Hier geht es primär um die Änderung unseres Lebensstils. Es geht um Entschleunigung, einfaches Leben, Lebensreform und Selbstversorgung. Meines Erachtens muß bei der Suche nach Alternativen hier angesetzt werden. Ich denke hier u.a. z.B. an die Lebensreformbewegung (12).
Bei der aktuellen Kampagne zum Thema „Klimawandel“ besteht das Problem, daß die Vielfalt, Komplexität und die Interdependenzen globaler Naturzerstörungen auf einen einzigen Begriff reduziert werden, den sogenannten "Klimawandel". M.E. geht es in dieser groß inzenierten Kampagne darum, daß wir in Konsequenz der globalen Naturzerstörungen, dem Verlust an Biodiversität und dem rasanten Artensterben nicht unsere Lebens- und Wirtschaftsweise ändern müssen, daß vielmehr alles so bleiben kann, wie es ist. Mit einem "Green New Deal" erfolgt ein "Greenwashing" der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Naturschutz und Naturschützer sind dabei ein Hindernis, denn es werden die eh schon in der industriellen Land- und Forstwirtschaft bestehenden Monokulturen in weit größerem Umfang ausgeweitet werden müssen, um den Rohstoffhunger der weiterhin am Wirtschaftswachstumsdogma festhaltenden fortgeschrittenen Industriegesellschaft befriedigen zu können, und ebenso die Konsumerwartungen der weiter anwachsende Weltbevölkerung, die weltweit gemäß dem "American Way of Life" leben möchte, denn dieser wurde mittlerweile massenmedien-vermittelt und entwicklungspolitisch gefördert zum globalen Standard. Die Forderung der Naturschützer nach einer Änderung unserer Lebens- und Wirtschaftsweise paßt hier nicht hinein, denn das Entwicklungs- und Glücksversprechen für mehrere Milliarden Menschen müßte enttäuscht werden.
Die weitere Zuspitzung der globalen Krise erscheint daher unvermeidlich. Sowohl Landflucht, als auch Urbanisierung nehmen weltweit weiter zu. Die sich permanent ausweitenden Monokulturen der industriellen Land- und Forstwirtschaft und damit verbundener Großgrundbesitz verdrängen die Menschen aus dem ländlichen Raum. Die Menschen verlassen nicht freiwillig den ländlichen Raum und geben ihre traditionelle Subsistenzwirtschaft auf, sondern sie werden dazu genötigt. Auf der Suche nach Existenzmöglichkeiten roden die aus dem ländlichen Raum verdrängten Menschen in Naturschutzgebieten Land oder sie siedeln in den anwachsenden Slums an den Rändern der Städte. Die Urbanisierung nimmt weltweit rasant zu. Schon in wenigen Jahrzehnten wird weltweit die Mehrzahl der Menschen in Megacitys mit 20 bis 50 Mio. Einwohnern leben. Die Megacities sind nichts anderes als Verwahranstalten für aus dem ländlichen Raum verdrängter und überflüssiger Menschenmassen. In diesen herrscht der permanente ökologische, soziale und gesundheitliche Ausnahmezustand. Dies kann man am Beispiel der heute schon bestehenden Megacities studieren. Im Zuge der sich zuspitzenden multiplen Globalkrise wird der Ausnahmezustand zukünftig der globale Dauerzustand sein. Die Verfassungswirklichkeit des Ausnahmezustands ist der Maßnahmenstaat (13). Willkommen im extremen 21. Jahrhundert!
Erforderlich ist daher ein anderes Entwicklungsmodell, das im Gegensatz zur Konsum- und Wegwerfgesellschaft globalisierbar ist, das ohne ein Dogma permanenten Wirtschaftswachstums auskommt und das mit einer Änderung sowohl unserer Lebensweise, als auch unserer Wirtschaftsweise einher geht. In einem weltweiten Maßstab benötigen die Menschen insbesondere den Erhalt und die Förderung von Perspektiven im ländlichen Raum und ein Ende ihrer Verdrängung. Dieses wird im Konzept des „Green New Deal“ ignoriert, da der Blick ausschließlich auf die Verhältnisse in den USA beschränkt ist.
Anmerkungen:
1) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftswachstum
2) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Konsumgesellschaft
3) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Maslowsche_Bedürfnishierarchie
4) Vgl.: Erich Fromm: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. 1979, München. In seiner Analyse der Konsumgesellschaft, die zu einem Klassiker der Konsumkritik geworden ist, entwirft Erich Fromm das Modell einer neuen Gesellschaft, die auf die Erfordernisse des nicht-entfremdeten, am Sein orientierten Individuums ausgerichtet ist: „Wenn die Menschen jemals freiwerden, das heißt dem Zwang entrinnen sollen, die Industrie durch pathologisch übersteigerten Konsum auf Touren zu halten, dann ist eine radikale Änderung des Wirtschaftssystems vonnöten“ (S. 168-169).
5) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wachstumszwang
6) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Wachstumskritik
7) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Notverordnung
8) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltwirtschaftskrise
9) Vgl.: Peter Glotz: Beschleunigung und Entschleunigung. In: ders.: Die beschleunigte Gesellschaft. Kulturkämpfe im digitalen Kapitalismus. 1999, München. S. 131-139.
10) Vgl.: Hans Magnus Enzensberger: Bewußtseins-Industrie. In: ders.: Einzelheiten I. Bewußtseins-Industrie. 1962, Frankfurt am Main. S. 7-17.
11) Vgl.: Naomi Klein: Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann. 2019, Hamburg. S. 324.
12) Die Lebensreformbewegung um die Jahrhundertwende 1900 war keinesfalls eine „Fin de Siècle“-Zeitgeistströmung, sondern eine Alternativbewegung, die alternative Lebensformen zur Industriegesellschaft experimentell erprobt hat. Eins der bedeutendsten Projekte der Lebensreformbewegung war „Monte Verità“ im Tessin in der Nähe der Stadt Ascona. Auf einer meiner Fahrradreisen im Jahre 2016 wollte ich feststellen, was dort heute an dieses Projekt noch erinnert. Entgegen dem durch die Tourismusindustrie verbreiteten Mythos vom „Sonnigen Tessin“ ist dieses eine der regenreichsten Regionen Europas (Jahresgesamtniederschlag Locarno: 1900 mm), und so erreichte ich Ende November 2016 den Monte Verità während einer Fahrradreise durch tagelangen Dauerregen. Doch zu meiner Enttäuschung erinnerte auf dem Hügel nichts mehr an das einstige Alternativprojekt im Rahmen der Lebensreformbewegung, und ich traf dort nur auf eine Einrichtung der Universität Zürich. Mittlerweile soll dort im Jahre 2017 ein Museum zum Thema Monte Verità eröffnet worden sein, und von Stefan Bollmann ist ein Buch zum Thema erschienen mit dem Titel: Monte Verità. 1900. Der Traum vom alternativen Leben beginnt. München, 2017.
13) Vgl.: Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat. Frankfurt am Main, 1984. In seiner im Jahre 1941 erstmals erschienenen Analyse des NS-Staates unterscheidet Fraenkel die Parallesexistenz eines weiterhin fortbestehenden „Normenstaates“ neben einem errichteten „Maßnahmenstaat“ zur extralegalen Machtentfaltung und willkürlicher, enthemmter Gewaltausübung. Tatsächlich sind derartige Strukturen in unterschiedlicher Ausprägung nahezu überall anzutreffen, sodaß das Potential von Fraenkels Modell des „Doppelstaats“ (Dual State) für die Gegenwartsanalyse weitgehend ungenutzt brach liegt. Als ein Beispiel unter weiteren können die USA nach dem 11.09.2001 aufgeführt werden, die in der Folgeentwicklung Strukturen eines „Doppelstaates“ (Dual State) ausgebildet haben.
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